Liebe Kolleg*innen,
Zum ersten Mal haben wir einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht gegen den Betrieb ambulante dienste e.V. verloren.
Anlass der gerichtlichen Auseinander-setzung war die Anordung von Rufbereitschaften in sog. Pflegeausfallzeiten. Der einfache Trick des Arbeitgebers, die Einführung eines Tagesbereitschaftsdienstes durch angebliche Büroarbeiten zu verschleiern, hat funktioniert.
Um was geht es?
Assistent*innen verfügen weder über ein garantiertes monatliches Einkommen noch über Arbeitsplatzsicherheit. Zur Kompensation wurde in den 90er Jahren die sog. Ausfallgeldregelung bei Wegfall des Einsatzes verhandelt und eingeführt. Wesentlicher Vertragsinhalt ist, dass bei Anspruch auf Ausfallgeld Dienstzeiten festgelegt sind, in denen der/die Assistent*in für die Übernahme von Diensten/Einsätzen zur Verfügung stehen muss. Der/die Assistent*in muss zwei und ein Tag/e vor der festgelegten Dienstzeit im zuständigen Beratungsbüro anrufen, um sich zur Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Liegen zu diesem Zeitpunkt keine offenen Dienste vor, ist der/die Beschäftigte von der weiteren Vermittlung freigestellt.
Es war der Leitung zunehmend ein Dorn im Auge, dass die ausfallgeldberechtigten Assistent*innen nicht immer fristgerecht in Arbeit vermittelt werden konnten. Die Assistent*innen mussten ohne Arbeitsleistung vergütet werden. Im Arbeitsrecht nennt sich das Annahmeverzug.
Daher kam die Leitung Ende 2011 auf die Idee, Assistent*innen, die nicht fristgerecht in Einsätze vermittelt werden können, für Rufbereitschaftsdienste in den geplanten Dienstzeiten anzufordern. Zitat aus einem Schreiben der Geschäftsführung an die Beschäftigten vom 27.12.2011: „Des Weiteren sind die Einsatzbegleitungen zur Verbesserung der Vermittlungssituation ab sofort berechtigt, in Ausfallzeiten eine Rufbereitschaft für die jeweilige Ausfallschicht anzuordnen.“
Viel Papier wechselte in der Folge die Seiten, bis das Arbeitsgericht im Oktober 2012 klarstellte: „Der Arbeitgeber wird verpflichtet, ohne Zustimmung des Betriebsrats und ohne Ersetzung durch eine Einigungsstelle so genannte Rufbereitschaft weder anzuordnen noch zu dulden.“
Die einseitige Bemächtigung der Einsatzbegleitungen durch die Geschäftsführung war insofern hinfällig, der Betriebsrat im Recht, die folgende Reaktion des Arbeitgebers erneut inadäquat.
Ende Juni 2012 – also während des laufenden Verfahrens vor dem Arbeitsgericht – wurden die Beschäftigten seitens der Leitung polemisch darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Arbeitgeber in jedem Fall berechtigt sei, „Assistent*innen einen Tag vorher mit der Anwesenheit in ihrer Ausfallschicht in einem Beratungsbüro oder in der Einsatzstelle zu beauftragen. (…) Davon wollte die Leitung eigentlich nicht Gebrauch machen, (…) aber – ausgelöst durch das Verfahren des Betriebsrats“ müsse man es sich vorbehalten, von dieser Maßnahme doch Gebrauch zu machen. Alles klar – der Betriebsrat ist schuld.
Im August 2015 wurden die ersten ausfallgeldberechtigte Assistent*innen in die Büros zitiert, ohne dass es dort wirklich etwas für sie zu tun gab. Damit war der Betriebsrat zur erneuten Klage und zum Nachweis gezwungen, dass die Bürotätigkeit nur Vorwand dafür ist, Assistent*innen für die kurzfristige und unmittelbare Vermittlung zur Verfügung zu haben. Also für Bereitschaftsdienste.
Das aktuelle Verfahren
Wir haben diesen Sachverhalt wieder vors Arbeitsgericht gebracht. Dort werden aber nicht Intentionen sondern Rechtstatbestände verhandelt. Unserem Anwalt war es von vornherein zu riskant, nur auf den Tatbestand der Einführung eines Bereitschaftsdienstes unter Umgehung unserer Mitbestimmungsrechte zu setzen. Daher wurde auch thematisiert, dass es sich um Versetzungen handelt, die ebenfalls der Mitbestimmung unterliegen.
In der ersten Instanz waren wir weder mit dem einen noch mit dem anderen Argument erfolgreich. Wir haben eine weitreichende Mitbestimmung bei der Lage der Arbeitszeit. Die steht unstrittig hier nicht in Frage. Bleibt also die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitszeit, z.B. in Form eines Bereitschaftsdienstes.
Die vorgenommene Maßnahme der Leitung verstößt im arbeitsrechtlichen Sinne formal nicht gegen den Arbeitsvertrag und die Ausfallgeldregelung, die ja in sog. Pflegeausfallzeiten zu Tätigkeiten in anderen Einsätzen und in der Organisation verpflichten. Auch nicht eindeutig genug gegen die entsprechenden Regelungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz, die z.B. eine Versetzung definieren und entsprechend unsere Mitbestimmungsrechte begründen würden.
Der Betriebsrat fand kein Gehör mit seiner Bewertung, dass es sich im vorliegenden Fall um Bereitschaftsdienste im Sinne einer mitbestimmungspflichtigen Sonderform der Arbeit handelt.
Trotzdem: Es bleibt der Sachverhalt, dass die Ankündigungsfristen in der Ausfallgeldregelung auf diese Weise ausgehebelt werden. Dass ökonomische Zweckrationalität wichtiger ist als betriebliches Selbstverständnis, Qualitätsanforderungen und Fürsorgepflichten des Arbeitgebers in Form sachgerechter Einarbeitung u.v.m.
Wir werden gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts nicht in die Beschwerde vor das Landesarbeitsgericht gehen. Das folgt aus unserer rechtlichen – nicht inhaltlichen – Bewertung. Wer will, kann dies auch als unseren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts lesen.
Vorläufig unbearbeitet bleiben zwei Sachverhalte:
In § 10 der Betriebsvereinbarung Entgelt-systematik wurde festgehalten, dass die Einführung von Rufberereitschaften und Bereitschaftsdiensten zwischen Leitung und Betriebsrat zukünftig beschlossen wird. Zur Rufbereitschaft ist dies bereits geschehen, zu Bereitschaftsdiensten steht dies noch aus.
Und zum zweiten wurden am Arbeitsgericht bisher nur kollektivrechtliche Fragen verhandelt. Inwieweit jeder Einzelne arbeitsvertraglich gegen diese Maßnahme erfolgreich vorgehen kann, muss im Einzelfall geklärt werden. Wir beraten Euch gerne.