Newsletter 115: Inbezugnahmeklausel!

Liebe Kolleg*innen, wir dokumentieren hier unseren Newsletter zum Schreiben der Geschäftsführung vom 09.04.2020.

Klausel – wieso Klausel?

Mit Einführung des Tarifvertrages, dessen erste Umsetzungsschritte Ihr mittlerweile auch auf Euren Lohnabrechnungen sehen solltet, gibt es ein neues Unterscheidungs-merkmal quer zu allen Beschäftigten-gruppen: Gewerkschaftsmitglied (hier, Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di) oder nicht.

Von letzteren, den nicht bei ver.di organisierten Mitarbeiter*innen. wünscht die Leitung eine Unterschrift unter die Inbezugnahmeklausel, die Euch aktuell zugeschickt wurde.

Wie auch immer, zuerst gilt es ausdrücklich zwei Parteien zu loben: zum ersten die Tarifkommission, die diesen Vertrag verhandelt hat, weil er unsere Situation maßgeblich verbessert; zum zweiten die Geschäftsführung, die das Ergebnis dieser Verhandlungen allen Beschäftigten zu gute kommen lassen will (seht Absatz 1a der Klausel). Das müsste sie nicht, führte aber andererseits vermutlich dazu, dass sehr viele in die Gewerkschaft eintreten würden, um diesen besseren Vertrag dann auch zu erhalten.

Wir vermuten, dass sich die Leitung auch aus Gründen der Transparenz den Kosten-trägern gegenüber gezwungen sieht, durch die Klausel jede Unterscheidung von Gewerk-schaftlern und Nicht-Gewerkschaftlern zu vermeiden (Abs. 1c). Es darf nach Außen hin kein Zweifel entstehen, dass das Geld, das für Gehälter in den Betrieb fließt auch vollum-fänglich an die Beschäftigten weitergeht. Während bei den ver.di Mitgliedern der Tarif-vertrag den Arbeitsvertrag teilweise direkt ersetzt, ergänzt die Klausel diesen bei den Nicht-Mitgliedern (Abs. (1) generell). So weit so gut.

Nun gilt allgemein, dass es immer Verluste geben kann (materielle oder auch struk-turelle), wenn ein Vertrag (hier Haustarif-vertrag) einen anderen Vertrag (bisheriger Arbeitsvertrag) in Teilen ergänzt oder ablöst. Sprich: die Aufmerksamkeit des Betriebsrates ist in andauernder Kritik-bereitschaft.

Was es zu erhalten galt, versteckt sich im juristischen Begriff des Günstigkeitsprinzips. D.h. dass arbeitsvertragliche Regelungen, die ein*e Arbeitnehmer*in einzelvertraglich für sich verhandelt hat, weiterhin Gültigkeit haben und nicht von den Kollektivregelungen einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages (bei Nichtgewerkschaftlern) abgeschafft werden können. Individual-rechtlich ist es uns gelungen, dieses Prinzip weitest gehend zu wahren.


Scherzhaft gesagt, wechselte der Betriebsrat zu diesem Thema ca. 17 Telefonate, verhandelte 5 mal direkt mit der Leitung, 4 mal direkt mit dem eigenen Rechtsanwalt, 2 mal indirekt mit dem der Gegenseite und schrieb und verteilte-zur-Kenntnis ca. 57 E-mails. Um im Ergebnis in vierter Fassung die Klausel zu erwirken, die Ihr jetzt vor Euch habt; die am wenigsten schlechte.


Nun könnte man denken, was soll der Aufwand? Angesichts der Verbesserungen des Tarifvertrages könne es ich doch nur um Peanuts handeln. Aber 1. auch über Peanuts entscheidet der*die Beschäftigte selbst, denn es sind ihre*seine. Und 2. bedeutet dieses Prinzip eine Rückversicherung für Kollektivorgane wie den Betriebsrat oder die Tarif-kommission bei zukünftig zu verhandelnden Gegenständen. Denn diese Organe könne ja unmöglich 650 Einzelvertragsverhältnisse im Blick haben. D.h. sie sollten weiterhin allgemeine Verbesserungen verhandeln können, ohne befürchten zu müssen, ein ganz spezielles Einzelbedürfnis einzuschränken und zu beschädigen.

Kommen wir also zur Problematik des Absatzes (2) der Klausel, die wir nicht verhindern konnten. Dieser Absatz beschäftigt sich mit den Mitbestimmungs-rechten des Betriebsrates im Verhältnis zum Tarifvertrag. Streng genommen ist in den in Absatz 2a zitierten Gesetzesparagraphen alles geregelt. Warum bedarf es also der Wiederholung dieser Gesetze, die aus Sicht des Betriebsrates in eine einzelvertragliche Klausel nicht hinein gehören?

Wir interpretieren: Zum einen regelt der Tarifvertrag jetzt Sachverhalte die zum Teil vorher über Betriebsvereinbarung geregelt waren; d.h. die Leitung signalisiert an alle den Vorrang des Tarifvertrages. Außerdem wünscht sie vermutlich Klärung offen gebliebener Fragen. Die eine oder andere Betriebsvereinbarung implizierte neben Entgeltfragen strukturelle Vereinbarungen, die in dieser Form im Tarifvertrag nicht geregelt sind und jetzt nachjustiert werden müssen.

Zum zweiten versucht die Leitung mit dem Tarifvertrag das Entscheidungsrecht darüber zu gewinnen, mit wem sie in Zukunft was verhandelt oder eben auch nicht verhandelt: Betriebsrat oder Tarifkommission.


Lustigerweise ist sie ihrem eigenen Anliegen gleich wieder untreu geworden: bei der Frage nach einer materiellen Gratifikation eines speziellen Assistent*innen-Teams für Einsätze mit COVID 19 Verdacht hat sie den Betriebsrat informiert/ gefragt. Da Entgelte tarifvertraglich geregelt werden, hätte sie bis zur nächsten Runde der Tarifver-handlungen Ende 2021 warten müssen, was dem Sinn der Sache natürlich zuwider läuft.


Das macht das Leben des Betriebsrates an der einen oder anderen Stelle etwas schwerer. Beim oben genannten Beispiel des Spezialteams gehen die Interessen von Leitung und Betriebsrat in die gleiche Richtung, sodass ein Kompromiss herstellbar ist. Anders sieht es beispielsweise bei der auflösenden Wirkung des Arbeitsverhältnisses bei Renteneintritt aus. Bisher galt der Arbeitsvertrag bei Erreichung des Rentenalters einfach weiter und der*die Arbeit-nehmer*in konnte weiter arbeiten oder hätte gekündigt werden müssen. Jetzt, mit Geltung des Tarifvertrages, der mit Renteneintritt das Arbeits-verhältnis enden lässt, muss der ganze Sachverhalt neu verhandelt werden.

Juristisch gesprochen und unter juristischem Vorbehalt: Da die Leitung behauptet, die Auszahlung des neuen Gehalts für den Einzelnen an die Unterschrift dieser Klausel zu binden, können wir davon nicht abraten. Wir halten zwar ihre Drohung, bei Nicht-Unterschrift weniger als nichts zu bekommen und das auch wieder weg genommen, für juristisch anfechtbar und auch wenig hilfreich. Dennoch: Nicht zu unterschreiben und damit die Gehaltserhöhungen zu riskieren, wäre sehr hoch gepokert.

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