Also sprach…

Zum Arbeitsgerichtsprozess zur Unterlassung der Anordnung von Rufbereitschaften In Pflegeausfallzeiten

Mit Schreiben vom 27.12.2011 hatte die Geschäftsführung den Beschäftigten angekündigt, dass die Einsatzbegleitungen künftig berechtigt sein sollen, in sog. Ausfallzeiten eine Rufbereitschaft für die jeweilige Ausfallschicht anzuordnen. Während dieser Rufbereitschaft müssten die AssistentInnen telefonisch erreichbar sein, um andere Assistenzen und Dienste übernehmen zu können.

In der folgenden Auseinandersetzung mit der Geschäftsführung, in der wir darauf hingewiesen haben, dass diese einseitige Maßnahme gegen unsere Mitbestimmungsrechte sowie gültige arbeitsvertragliche Regelungen verstößt, wurden wir leider nicht gehört, so dass wir vor dem Arbeitsgericht Berlin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie die Eröffnung eines Hauptverfahrens in der Angelegenheit gestellt hatten.

Wie wir bereits berichteten, hat am 24.10.2012 der Anhörungstermin im Hauptverfahren zur Anordnung von Rufbereitschaften bei Pflegeausfallzeiten am Arbeitsgericht Berlin stattgefunden. Dabei folgte das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrats. Es schrieb, dass ambulante dienste e.V. verpflichtet wird, „ohne Zustimmung des [Betriebsrats] und ohne Ersetzung durch eine Einigungsstelle so genannte Rufbereitschaft […] weder anzuordnen noch zu dulden.“

Seit Ende November liegt nun auch die ausführliche Urteilsbegründung dieser Entscheidung vom 24.10.2012 vor, auf die wir hier auszugsweise eingehen wollen. Der Verlauf arbeitsgerichtlicher Verfahren in der mündlichen Verhandlung sowie in den Schriftsätzen hat manchmal etwas Groteskes, weil immer arbeitsrechtliche Standards in Bezug zu sogenannten Besonderheiten der Arbeitsorganisation bei ambulante dienste e.V. gesetzt werden. Oftmals entsteht der Eindruck, dass die Arbeitsrichter nicht ganz verstehen, wie bei ambulante dienste e.V. Arbeit organisiert wird. Das hat bei allen Mißverständnissen in der Sache oft den Vorteil, dass die Nebelbomben der Gegenseite, der anwaltlichen Vertretung der Geschäftsführung, wirkungslos verpuffen. Oder um es mit den Worten unseres Anwalts auszudrücken: „Der Antragsgegner [ambulante dienste e.V.] vermengt […] in nicht nachvollziehbarer Weise Individualansprüche der AssistentInnen, Weisungsrecht des Arbeitgebers, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und Tendenzeigenschaften.“

Das Arbeitsgericht erklärt, dass unser Antrag zulässig und begründet ist

Zulässigkeit des Antrags

Hier betreten wir erstmals das Reich der Nebelbomben. Es wurde moniert, dass wir mittels eines Globalantrags die leitenden Angestellten einbezogen hätten, was schnell zu korrigieren war. Weiter, dass wir nicht zwischen Regelung und Ausnahme differenzieren würden. Dazu schreibt der Richter nur lapidar, dass es der Erwähnung der Ausnahme, die einer Regelung ja immanent ist, logischerweise nicht bedarf.

Ärgerlicher wird es dann, wenn unterstellt wird, dass der Betriebsrat keine ordentliche – sprich formell korrekte – Sitzung abgehalten und keinen ordentlichen – sprich formell korrekten – Beschluss gefasst habe. Aber entspannen wir uns und zitieren einfach die Worte des Richters: Das übliche Sperrfeuer der Arbeitgeberseite.

Begründung des Antrags

Das Arbeitsgericht erklärt, dass unser Antrag auch begründet ist und dass wir aufgrund der Verletzung unserer Mitbestimmungsrechte einen Unterlassungsanspruch haben.

Inhaltlich gliedert sich die Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts grob gesagt in vier Themenbereiche – Arbeitszeit, Entlohnungsgrundsätze, Tendenzeigenschaften und Wirtschaftlichkeit – die entweder bereits in unserem Antrag thematisiert wurden oder Gegenstand der Erwiderung der Gegenseite waren.

Arbeitszeit

Das betrifft unseren zentralen Einwand, warum ambulante dienste e.V. gegen unsere Mitbestimmungsrechte durch die einseitige Einführung einer qualitativ anderen Tätigkeit – Rufbereitschaft – verstößt. Das Arbeitsgericht bestätigt uns im Kern, es schreibt zum allgemeinen: „Die Beteiligung des Betriebsrats […] dient dazu, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen.“ Und im speziellen: „Das Mitbestimmungsrecht umfasst auch die Aufstellung von Rufbereitschaftsplänen.“ Abschließend heißt es: Wenn ambulante dienste e.V. die Anordnung von Rufbereitschaften während Ausfallzeiten einführt, werden damit auch die abstrakten Regelungen der Lage der Arbeitszeit geändert.

Aber auch hier nicht ohne Nebelbomben: Die Gegenseite spricht von Arbeitszeitregelungen im Sinne des Arbeitszeitgesetzes und davon, dass es nur um individualrechtliche Vergütungsansprüche ginge. Auch hier zitieren wir gerne wieder den Urteilsspruch: „Der Arbeitszeitbegriff im Sinne [der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats] ist unabhängig von der vergütungs- und/oder arbeitsschutzrechtlichen Begrifflichkeit.“

Entlohnungsgrundsätze

Gerne wird bei solchen gerichtlichen Auseinandersetzungen seitens des Arbeitgebers behauptet, das der strittige Sachverhalt gar nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliege. Ein Klassiker in dieser Hinsicht ist, Streitpunkte, die die betriebliche Entlohnungsstruktur als solche betreffen, nur als Frage der Vergütungspflicht, als rein individuellen Lohnanspruch zu thematisieren, was im vorliegenden Rechtsstreit wieder hinlänglich geschehen ist. Unser Anwalt hat in seiner Erwiderung dazu richtig ausgeführt: „Zutreffend haben Arbeitszeiten individualrechtliche Bezüge – auch zum Gehalt. Das ist aber immer der Fall und widerspricht folglich nicht im Geringsten einer Mitbestimmungsmöglichkeit des Betriebsrats.“

Das Arbeitsgericht ist in seiner Begründung sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat in seiner Urteilsbegründung explizit auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Entlohnungsgrundsätzen Bezug genommen. Erfreulicherweise hat es zur Kenntnis genommen, dass es betriebliche Regelungen zur Rufbereitschaft gibt, für die wiederum spezielle Vergütungsregelungen gelten. Nicht von Bedeutung sei in dieser Hinsicht, ob es sich im einen Fall um freiwillige Rufbereitschaften oder im anderen Fall um durch den Arbeitgeber angewiesene Rufbereitschaften handele. Nicht von Bedeutung sei auch, mit welcher Vergütungsregelung die Assistent_innen besser fahren würden. So oder so gilt: der Arbeitgeber hat durch die Anordnung telefonischer Erreichbarkeit eine neue Variante der Rufbereitschaft geschaffen, für die es auch unter dem Gesichtspunkt der Lohngestaltung mitbestimmungspflichtigen Regelungsbedarf gibt.

Tendenzeigenschaften

Wir sprachen bereits von Nebelbomben, hier haben wir es nun mit ganzen Nebelbänken zu tun. Die Schriftsätze der anwaltlichen Vertretung des Arbeitgebers behandeln vornehmlich das Thema der Tendenz in allen ihren Varianten, vom Tendenzbetrieb bis zum Tendenzträger, und legen Tendenzschleier auf alle inhaltlichen Fragen und Streitpunkte. Zu erklären, worum es sich dabei handelt, würde des Rahmen dieses Berichts sprengen, nur so viel: in Tendenzbetrieben sind manche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats außer Kraft gesetzt bzw. eingeschränkt. ambulante dienste e.V. hat sich zum Tendenzbetrieb und alle Assistent_innen zu Tendenzträgern erklärt. Zur formalen Feststellung einer Tendenzeigenschaft genügt keine Selbsterklärung. Rechtlich ist diese Frage nicht geklärt.

Das Arbeitsgericht hat das Manöver durchschaut und ist nicht auf die Frage eingegangen, weil sie für den zu behandelnden Streitpunkt keine Relevanz hat. Es ist der Argumentation unseres Anwalts gefolgt, der dazu schon richtigerweise schrieb: „selbst wenn es sich um einen Tendenzbetrieb handeln sollte (was unzutreffend ist) und wenn es sich bei den AssistentInnen um Tendenzträger handeln sollte (was ebenfalls unzutreffend ist), sind (….) die Vorschriften des BetrVG insoweit anzuwenden, als ihnen die Eigenart des Unternehmens nicht entgegen steht. Die Regelungen zu den Arbeitszeiten stehen in keinem Zusammenhang zu einer Tendenzeigenschaft.“

So ähnlich das Arbeitsgericht: „Die Änderung der Regelung im Fall der Nichteinhaltung der Vorankündigungsfristen von Freizeit in telefonische Erreichbarkeit ist jedoch keine Tendenzmaßnahme.“ Und es wird in der Folge noch deutlicher: „Letztlich geht es um Kostenersparnis und Personalflexibilisierung. Eine ernsthafte Beeinträchtigung der flexiblen Betreuung der Assistenznehmer ist nicht dargelegt.“ Und: „die streitbefangene Änderung [läuft im Grunde] darauf hinaus, die Arbeitskraft der Assistenten optimaler in personalwirtschaftlicher Hinsicht zu nutzen“.

Wirtschaftlichkeit

Bereits in den Schriftsätzen angedeutet, verstieg sich die anwaltliche Vertretung des Arbeitgebers in der Hauptverhandlung zur völlig sachfremden Behauptung, die Anordnung von Rufbereitschaften liege alleine in der Vergütungsvereinbarung mit dem Land Berlin, dem Leistungskomplex 32 (LK 32) begründet. Sie zwinge den Arbeitgeber zu solchem Handeln. Dazu das Gericht lapidar: „Selbst wenn es bei der alten Regelung bliebe, […] zeigt allein der Umstand, dass mit der alten Regelung seit 1999 die LK 32-Vereinbarung mit dem Land Berlin geschlossen werden konnte, dass allein die Ausfallgeldregelung des [Arbeitgebers] die LK 32-Vergütung nicht gefährdet.“

Fazit

Das Verfahren wurde ohne Abstriche gewonnen. Aber es drängt sich der Verdacht auf, dass es wohl nicht der letzte Rechtsstreit gewesen sein wird, in dem der Betrieb um den Erhalt seiner Form der Arbeitsorganisation mit Nebelbomben streitet. Und das berührt dann eben immer wieder die Interessen der Beschäftigten und die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.

Um es abschließend mit Auszügen aus Schriftsätzen im Verfahren auszudrücken, sei noch mal unser Anwalt zitiert: „Auch der Versuch des [Arbeitgebers], aus den Begrifflichkeiten wie Assistentinnen und Assistenten, hohe Flexibilität, freie Wahl der AssistentInnen und Dienstleistungen durch die Betreuten usw., einen Rückschluss auf die fehlende Mitbestimmung des [Betriebsrats] abzuleiten, geht fehl. Denn diese Ausführungen ändern schlichtweg nichts an der Tatsache, dass es sich bei den AssistentInnen um ArbeitnehmerInnen handelt […]. Es ist nicht möglich, durch die den Betreuten eingeräumte weitgehende Selbstbestimmung die gesetzlichen Bestimmungen auszuhebeln“.

Und die Bewertung des Arbeitsgerichts zur Anordnung von Rufbereitschaften? „Aus Sicht der Kammer steht […] der Gesichtspunkt einer optimal persönlichen Betreuung nicht im Vordergrund der Änderung“.

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