Wer viel Unterstützung im Alltag braucht, ist im Krankenhaus nur schlecht aufgehoben – wie der Fall der Doktorandin Monika S. besonders deutlich zeigt
Monika S. kann nicht sprechen. Nicht, dass sie stumm wäre. Aber seit sie vor gut 15 Jahren einen Schlaganfall hatte, im Koma lag, kann sie sich kaum mehr bewegen. Und nur mit „Ja“ und „Nein“-Gesten – und ihren AssistentInnen – kommunizieren. Auch schreiben kann sie nicht ohne deren Hilfe.
Behinderte Patientin: Keine Ahnung, keine Assistenz
Promovieren kann sie aber trotzdem: Die Uni Bremen hat sie als Doktorandin angenommen, seit mehreren Jahren schon arbeitet die ehemalige Russischlehrerin an einer Dissertation über einen in Vergessenheit geratenen russischen Reformpädagogen. Ihr Doktorvater – und rechtlicher Betreuer: Wolfgang Jantzen, ein renommierter, mittlerweile emeritierter Professor für Behindertenpädagogik der Uni Bremen. Zugleich als bekennender Marxist einer der letzten, der für die heute oft geschmähte „rote Kaderschmiede“ stand.
Im Klinikum Bremen-Mitte (KBM) wurde Frau S. indes – laut Befund aus der Intensiv-Medizin – als „geistig behindert“ eingestuft. Klinik-Direktor Thomas Lehnert gilt die 63-Jährige als „bedauernswert“. Gut erinnere er sich „an diese weitgehend spastisch-immobile und nicht kommunikationsfähige Patientin“, schreibt er in einem Brief. Und doch verweigerte sein Krankenhaus ihr die Assistenz.
Obwohl sie darauf einen Anspruch hätte – einen, den die Krankenkasse bezahlen müsste. Denn schon seit 2009 muss laut Sozialgesetzbuch eine Begleitperson mit aufgenommen werden – wenn die „medizinische Notwendigkeit“ besteht. Doch im KBM mochte man die AssistentInnen schon zur ärztlichen Visite erst auf Jantzens nachdrückliches Betreiben zulassen. Und deren Klinikaufenthalt musste Frau S. bislang aus ihren wenigen eigenen Mitteln bezahlen. Kosten: Rund 5.500 Euro.
Dem KBM galt die Assistenz von Frau S. zwar irgendwie als wünschenswert, doch keineswegs als „zwingend notwendig“. Die „Sinnhaftigkeit“ einer solchen Hilfe zu bewerten, schreibt Direktor Lehnert, verbiete sich ihm mangels Kenntnissen. Beschafft hat er sie sich aber offenbar auch nicht. Und auf Arne Mahler vertrauen, den Pflegedienstleiter der Assistenzgenossenschaft (AG), die S. betreut – das mochte er auch nicht. Mahler attestiert, der Frau drohe im Krankenhaus ein lebensbedrohlicher Bluthochdruck oder eine psychische Krise, die „nur durch Vertrauenspersonen“ aufgefangen werden könne. Das Klinikpersonal könne S. beim besten Willen nicht verstehen, so Mahler. Und so sei sie, ohne ihre Assistenz, „nicht angemessen versorgt“.
Klinikchef Lehnert ist da anderer Auffassung: Ob die ständige Anwesenheit einer AG-Mitarbeiterin „tatsächlich geeignet“ sei, mögliche lebensbedrohliche Zustände auch nur abzumildern, entziehe sich seiner Kenntnis. Eine „zwingende Notwendigkeit“ für Assistenz könne er deshalb nicht bescheinigen. Einen „glatten Gesetzesverstoß“, ja, einen „Offenbarungseid“ nennt Jantzen das. Ganz zu schweigen vom Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, der UN-Behindertenrechtskonvention. „Je schwerer die Behinderung, je größer die Ausgrenzung“, sagt er.
Doch Klinikdirektor Lehnert hat ganz andere Sorgen. Er befürchtet vielmehr, die Krankenkasse könne ihm „falsche Attestausstellung“ vorwerfen. Jantzen hält das jedoch für eine „dumme Ausrede“, der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück ebenfalls für eine „unbegründete Sorge“.
Ein Einzelfall ist Frau S. nicht: „Die Krankenhäuser sind nicht in der Lage, auf die Bedürfnisse von Menschen mit hohem Assistenzbedarf einzugehen“, sagt Steinbrück. Diese seien in Kliniken „oft schlecht aufgehoben“, wie „viele Praxisberichte“ zeigten. Es fehle an Informationen, Schulungen des medizinischen Personals, Konzepten, sagt Steinbrück. Die Krankenhäuser wüssten oft nicht, wie sie mit dem gesetzlichen Anspruch der Behinderten umzugehen hätten.
Ähnliches hört man auch beim Bundesverband Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen: „Problematisch ist, dass viele Krankenhäuser über das Gesetz und seine Inhalte nicht informiert sind.“ Sie weigerten sich daher häufig, AssistentInnen mit aufzunehmen. „Der Patient muss dann also noch zusätzlich um sein Recht kämpfen.“ In diesem Fall: vor Gericht. Jantzen hat mittlerweile einen Anwalt beauftragt.
Die Gesetzeslage
Im Sozialgesetzbuch (Fünftes Buch) ist der Anspruch auf Leistungen für Kranke wie folgt geregelt:
§ 11 (3): „Bei stationärer Behandlung umfassen die Leistungen auch die aus medizinischen Gründen notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson des Versicherten oder bei stationärer Behandlung in einem Krankenhaus (…) die Mitaufnahme einer Pflegekraft, soweit Versicherte ihre Pflege (…) durch von ihnen beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellen.“