Geschichte ist (k)eine Rolltreppe

Vermittlungspraxis und Arbeit auf Abruf

In ihrem Schreiben an die Beschätigten vom 27.12.2011 schrieb die Geschäftsführung eingangs:

In den vergangenen Jahren hat sich leider die Problematik der Vermittlung der AssistentInnen, insbesondere bei erforderlichen Vertretungseinsätzen, sehr verschärft.

Diese Aussage kennen wir: am 22.06.2004 erhielt die damalige AssistentInnenvertetung von der Geschäftsführung eine E-Mail mit dem Betreff „Vermittlungsnotstand“ in der zu lesen war:

Liebe Mitglieder der AS-VT; die Vermittlungssituation im Nord-Ost und Südbüro hat sich in den letzten 6 Wochen dramatisch zugespitzt. In zwei Fällen konnte sogar die Assistenz bei den ASN nicht sichergestellt werden. Ich habe auf diesem Hintergrund die Büroleitungen beauftragt, in solchen Situationen zur Sicherstellung der Assistenz AssistentInen unter Einhaltung der Ankündigungsfristen gemäß KAPOVAZ – Verträgen mit der Assistenz zu beauftragen.

Im Protokoll des Leitungsgremiums vom 06.07.2004 war seinerzeit zu lesen:

Nach wie vor haben das NO- und das Südbüro große Probleme die Assistenz sicherzustellen. Es gibt nicht genügend AssistentInnen, die eingesetzt werden können. […] Vor diesem Hintergrund verdeutlicht die Geschäftsführung nochmals die arbeitsvertraglichen Möglichkeiten und Grenzen beim Arbeitsabruf von AssistentInnen. (In diesem Zusammenhang berichtet sie, dass die AS-VT das Verfahren aus arbeitsrechtlichen Gründen anzweifelt.)

Die VWL hat außerdem einen Verfahrensvorschlag zum Einsatz  von AusfallgeldassistentInnen. […] Zur Lösung des akuten Problems werden ab sofort AS, die im Ausfallgeldbezug sind und nicht in Einsätze vermittelt werden bei ihrem zweitem Meldeanruf einen Tag vor der maßgeblichen Schicht als Notbereitschaft einzusetzen, wenn ihre Ausfallschicht  in den Bereitschaftszeiten liegt. Die Verantwortung für die Informationsweitergabe an den Telefon-BSD, welche Assistentin davon betroffen ist, soll täglich durch dasjenige Büro, das für den jeweiligen Ausfallplan zuständig ist, übernommen werden. Ein Verfahren wird die [BL X] mit den anderen BL besprechen.

Sie sind damals nicht damit durchgekommen, und das werden sie auch heute nicht!

Rechtliche Hintergründe bei der Arbeitsanweisung von AssistentInnen

Die Geschäftsführung bezieht sich in ihren Ausführungen vermutlich auf § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes – Arbeit auf Abruf. Dort unter (2): Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verplichtet, wenn der Arbeitnehmer ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt.

So weit, so gut, wichtig ist aber der Kontext, u.a. auch, was in den anderen Paragraphen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) steht. Darüber hinaus sind weitere gesetzliche Bestimmungen zu beachten. Es gilt zudem grundsätzlich zu bedenken, dass überhaupt die arbeitsvertraglichen Voraussetzungen vorliegen müssen, die eine solche „Vermittlungspraxis“ ermöglichen. Was unserer Ansicht nach aber nicht der Fall ist.

Ein paar Beispiele der rechtlichen Grenzen des Vermittlungswahns:

  • Bei der Arbeit auf Abruf bestimmt zwar der Arbeitgeber, wann gearbeitet werden soll, bei der Ausübung des Direktionsrechts ist er aber gemäß § 315 BGB an den Maßstab der Billigkeit gebunden. Er muss im Einzelfall z.B. auch Rücksicht darauf nehmen, wenn ArbeitnehmerInnen ein schützenswertes Interesse daran haben, zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Tagen nicht zu arbeiten.
  • Bei der Abrufarbeit ist nur die Verteilung eines vorab vereinbarten Arbeitszeitbudgets variabel. Der Gesetzgeber verlangt in § 12 Abs.1 TzBfG eine vertragliche Festlegung der Arbeitszeitdauer. Fehlt eine ausdrückliche vertragliche Festlegung, dann gilt die bislang geleistete durchschnittliche wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit als das vertragliche Arbeitszeitbudget, welches auch entsprechend zu vergüten ist. Führt diese Rückschau zu keinem brauchbaren Ergebnis, so gilt nach §12 Abs.1 TzBfG eine Wochenarbeitszeit von zehn Stunden vereinbart.
  • Arbeitszeit, die nicht oder nicht ordnungsgemäß abgerufen wird, verfällt zum Ende des Abrechnungszeitraums. Der Arbeitgeber gerät in Annahmeverzug und muss nach § 615 BGB die nicht abgerufene Arbeitszeit trotzdem bezahlen.
  • Zur Vertretungspflicht: Einen Arbeitsplatz zu teilen bedeutet nicht automatisch die Pflicht der Teammitglieder, für eine ständige Besetzung der übernommenen Funktion zu sorgen. Es ist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, seinen Betrieb so zu organisieren, dass die Arbeitsaufgaben trotz Krankheits- und Urlaubszeiten erledigt werden. Deshalb ist eine Vertragsgestaltung unzulässig, die das Team zur kontinuierlichen Besetzung des Arbeitsplatzes verpflichtet (automatische Vertretungspflicht) (siehe §13 TzBfG: Arbeitsplatzteilung).

So weit in Kürze ein paar Hintergrundinfos zu Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitsabrufs durch die Geschäftsführung. Zur konkreten persönlichen Beratung: meldet euch bei uns, ruft bei uns an!

Historischer Exkurs: Zur Genese des Teilzeit- und Befristungsgesetzes

Das TzBfG ersetzt seit Januar 2001 das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985, welches nur befristet war und zum Jahresende 2000 ausgelaufen ist. Das Beschäftigungsförderungsgesetz war das Kernstück einer arbeitsrechtlichen Deregulierungspolitik der Regierung Kohl mit der erklärten Absicht, Beschäftigung durch den Abbau von Schutzvorschriften zu fördern (Erweiterung der Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverträgen etc.).

Für den aktuellen Anlass sind aber in erster Linie die Ausführungen zur Teilzeitarbeit interessant. Der Begriff der Teilzeitarbeit wird in §2 Abs.1 des Gesetzes definiert: Es handelt sich um ArbeitnehmerInnen, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit geringer ist als die vergleichbarer VollzeitarbeitnehmerInnen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Gesetz das Ziel, Teilzeitarbeit auszuweiten und verankert einen grundsätzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit (§8 TzBfG). Arbeitsrechtlich gibt es keinen Unterschied zwischen ArbeitnehmerInnen mit starren oder flexiblen Arbeitszeiten. Teilzeitbeschäftigte dürfen wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte (§4 Abs.1 TzBfG).

Bei der Teilzeitbeschäftigung stellt die Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall (Arbeit auf Abruf) eine Sonderform dar. Insbesondere im Einzelhandel ist von den Unternehmern eine typische Form der Arbeit auf Abruf eingeführt worden, die „kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ). Vielfach wurde dabei weder eine Mindestarbeitszeit garantiert, noch gab es längere Vorankündigungsfristen, noch wurde die Wartezeit vergütet. Das Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung setzte nunmehr Mindestbedingungen für die Arbeit auf Abruf fest, die im wesentlichen ins Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) übernommen wurden.

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