Organizational Burn-out

Ausgebrannte Unternehmen – Von einem Burn-out ist oft nur im Zusammenhang mit Menschen die Rede. Aber auch Organisationen können ausbrennen (Rainer Spies)

Das Burn-out-Syndrom ist lange Zeit allein auf Personen bezogen worden. Jetzt attestieren Berater wie Michael Zirkler, Leiter der Arbeits- und Organisationspsychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften am Standort Winterthur, und der Baseler Buchautor Gustav Greve gar ganzen Organisationen, dass sie ausbrennen können oder ausgebrannt sind. Für Greve (…) gibt es „verblüffende Ähnlichkeiten“ zwischen dem Burn-out von Mitarbeitern und dem von Organisationen. In seinem Buch „Organizational Burn-out“ wagt er sogar die These, die Deutsche Bahn AG, die aufgrund von Pannen wiederholt in die Schlagzeilen geraten ist, könne davon bedroht sein.

Ausgebrannte_Unternehmen

Veränderungen nicht umsetzbar

„Dafür sprechen mir vorliegende Insiderinformationen und auch offizielle Unternehmensdaten“, sagt Greve. So habe es in den vergangenen Jahren in dem Konzern beispielsweise viele Reorganisationsversuche, nicht ordentlich beendete Projekte und erhebliche interne Kommunikationsprobleme gegeben. Das wertet Greve als Indiz, denn: Merkt ein Unternehmen, dass es dringend Veränderungen braucht, kann diese aber auch nach mehreren Versuchen nicht erfolgreich umsetzen, könnte es vom Burn-out bedroht oder sogar schon ausgebrannt sein. Die Betonung liegt auf „könnte“. Noch fehlt es Zirkler zufolge an „differenzialdiagnostischer Schärfe“, um Unternehmen mit Burn-out-Symptomatik von solchen zu unterscheiden, die lediglich vorübergehend Probleme haben, den Wünschen ihrer Kunden nachzukommen.

„Das sicherste Zeichen dafür, dass es sich um das Ausbrennen eines Unternehmens handelt, ist die Verleugnung bestimmter Symptome“, sagt Greve zum Erkennen eines Organizational Burn-out. Das Management wolle nicht wahrhaben, dass es im Betrieb nicht mehr so laufe wie früher. Dabei hätten die Mitarbeiter längst gemerkt, dass interne Anforderungen mehr Zeit binden, die Ressourcen knapper werden und die Steuerungsmaßnahmen nicht den gewohnten Erfolg haben. Die Mitarbeiter flüchten sich angesichts des hilflosen Aktionismus ihrer Vorgesetzten in Zynismus gegenüber Firma und Kollegen. So schwindet die Energie des Unternehmens für neue Ansätze, Innovationen finden nicht mehr statt.

Für Michael Zirkler laufen insbesondere solche Firmen Gefahr auszubrennen, die ihren Blick allein auf Effizienz ausgerichtet haben. „Sie sind zunächst sehr erfolgreich. Wenn sich aber die Umweltbedingungen ändern, fehlt ihnen die Flexibilität, darauf angemessen zu reagieren“, so Zirkler. Das Management erhöhe die Leistungsvorgaben und verändere ständig die Strukturen der Organisation, weil es glaube, so die Dinge in den Griff zu bekommen. Faktisch bessert sich die Lage jedoch nicht.

„In ausgebrannten Betrieben wird viel geredet, aber wenig entschieden“, schildert Zirkler Symptome eines Firmen-Burn-out. Die Meetings häufen sich, dennoch fehlen den Mitarbeitern die entscheidenden Informationen. Dem Management mangele es an Mut und zuweilen auch an der Kompetenz, mit offensichtlichen Widersprüchen umzugehen und sich und anderen einzugestehen, dass bestimmte Ziele für das Unternehmen zwar wichtig sind, möglicherweise aber nicht erreicht werden können.

Gustav Greve hat beobachtet, dass sich in einem vom Burn-out bedrohten Unternehmen die Führungsspitze nach dem Versagen der gewohnten Steuerungsmaßnahmen von den Mitarbeitern entfernt. „Die Vorgesetzten sind weniger präsent und erreichbar“, sagt Greve. Führungskräfte seien gewohnt, klare Ansagen zu machen. Das funktioniere in kritischen Situationen nicht mehr. Greve rät ihnen jedoch, die Mitarbeiter zu bitten, ehrlich auf die Frage einzugehen, warum es im Betrieb nicht mehr rund läuft und welche Schritte sie als notwendig erachten.

Warnzeichen wahrnehmen

Und wo ist der Unterschied zwischen einem Betriebs-Burn-out und einer „normalen“ Krise? „Bei einer Krise steht der Sinn der Organisation nicht infrage. Das Unternehmen hat noch die Energie, sich selbst zu helfen“, so Greve. Anders in einer ausgebrannten Firma. Sie stiftet keinen Sinn mehr, und es herrscht eine depressive Grundstimmung, die auch die Kunden bemerken: Komme ein Geschäftspartner in einen ausgebrannten Betrieb, werde er kaum angeschaut, so Zirkler. Den Mitarbeitern sei relativ egal, ob er mit seinem Anliegen vergeblich von A nach B laufe.

Zirkler sieht zudem einen Zusammenhang zwischen dem Burn-out von Mitarbeitern und dem der Firma. Ermüdungserscheinungen einzelner Mitarbeiter seien ein Warnsignal für das ganze Unternehmen, warnt Zirkler. Denn einer Studie des Beratungsunternehmens Coverdale zufolge hat die überwiegende Mehrheit befragter Führungskräfte auf den in den vergangenen Jahren spürbar angestiegenen Leistungs- und Veränderungsdruck längst mit Rückzug, Aggressivität oder Ignoranz reagiert.

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Das Burn-out-Syndrom

Definition

Das Ausgebranntsein bezeichnet beim Menschen einen Zustand reduzierter Leistungsfähigkeit. Ausgelöst werden kann der durch frus- trierende Erlebnisse oder unbewältigten Stress. Er führt zu Desillusionierung und Apathie, psychosomatischen Erkrankungen und Depression oder Aggressivität sowie zu einer erhöhten Suchtgefährdung. Der Burn-out ist keine Krankheit mit eindeutigen diagnostischen Kriterien, sondern eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher Überlastung. Das Burn-out-Syndrom wurde zunächst bei helfenden Berufen beschrieben, ist aber auch in zahlreichen anderen Berufsgruppen zu beobachten.

Buchtipp

Organizational Burnout. Das versteckte Phänomen ausgebrannter Organisationen: Gustav Greve, Gabler Verlag, Wiesbaden (2010), 281 Seiten, 34,95 Euro.

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