Nach § 84 Abs.2 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Zusammenarbeit mit der Interessensvertretung der Beschäftigten – in unserem Fall dem Betriebsrat – ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) zu installieren. Inhalt dieses Gesetzes ist, dass für Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, mit ihrer Zustimmung und Beteiligung eruiert werden soll, welche Möglichkeiten es gibt, die Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Nachdem im Frühjahr 2008 der Entwurf eines Anschreibens der Geschäftsführung an die Beschäftigten zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement bei uns auf dem Schreibtisch gelandet war, den wir in dieser Form nicht akzeptieren konnten, haben wir selbst einen Entwurf für eine entsprechende Betriebsvereinbarung erstellt.
In der Präambel schrieben wir u.a, dass mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement folgende Ziele erreicht werden sollen:
- Überwindung bestehender und/oder Verhinderung weiterer Arbeitsunfähigkeit
- Vermeidung von chronischen Erkrankungen
- Erhalt des Arbeitsplatzes
- Leidensgerechte Sicherung der Beschäftigung kranker Menschen
- Vorbeugung in Bezug auf Gefahren des Eintritts von (Schwer-) Behinderungen und/oder Erwerbsunfähigkeit.
Unter § 4 zu den Grundsätzen und Zielen dieser Vereinbarung:
Geschäftsführung und der Betriebsrat des ambulante dienste e.V. bekräftigen, dass erkrankte Beschäftigte nicht wegen ihrer Krankheit, sowie schwerbehinderte und behinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden dürfen.
Dieser Grundsatz berührt einen zentralen Konflikt in der Intention eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements:
Geht es darum, Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten aus Kostengründen abzuwenden, Gesundheit und Funktionsfähigkeit im betrieblichen Interesse zu erhalten, perspektivisch Beschäftigte auszusortieren, die eben diese Anforderungen nicht erfüllen ODER darum, Arbeitsumfeld und -organisation so zu gestalten, dass Rücksicht auf die spezifischen psychischen und physischen Voraussetzungen einzelner Beschäftigter genommen wird?
So zogen sich die Verhandlungen der Betriebsvereinbarung bis heute hin, aktualisierte und überarbeitete Entwürfe warteten und warten in der Schublade oder in den entsprechenden Ordnern auf ihre Weiterbearbeitung.
Im Kern sind aber eigentlich „nur“ zwei strittige Punkte geblieben:
+ Inwiefern Daten und Informationen, die im Ablauf des Verfahrens gewonnen werden, im Zusammenhang mit personenbedingten Kündi-gungen (aus gesundheitlichen Gründen) durch den Betrieb verwendet werden dürfen.
+ Die Frage der Verfügbarkeit von personen-bezogenen Daten für den Betriebsrat, die im Rahmen des Verfahrens bzw. zur Aufnahme eines Verfahrens notwendig sind.
Zu zweitem Punkt hat es jetzt ein richtungsweisendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts gegeben:
Betriebliches Eingliederungsmanagement – Überwachungsrecht des Betriebsrats
Siehe auch: Überwachungsrecht des Betriebsrats beim Betrieblichen Eingliederungs-managements
Der Arbeitgeber hat für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind, die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungs-managements (bEM) zu prüfen (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). In diesem Verfahren soll geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Ob der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einleitung des bEM nachkommt, hat der Betriebsrat zu überwachen (§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist nicht von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig.
Im Betrieb eines auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnik tätigen Arbeitgebers besteht eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung des bEM. Nach dieser erhält der Betriebsrat quartalsweise ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Der Arbeitgeber möchte die Namen dieser Arbeitnehmer nur mit deren Einverständnis offen legen.
Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Antrag des Betriebsrats entsprochen, mit dem dieser die Angabe sämtlicher Arbeitnehmer verlangt hat, die für die Durchführung eines bEM in Betracht kommen. Der Arbeitgeber durfte deren namentliche Benennung nicht vom Einverständnis der Arbeitnehmer abhängig machen. Er hat ein bEM allen Beschäftigten anzubieten, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen sind. Für die Ausübung seines gesetzlichen Überwachungsrechts muss der Betriebsrat diesen Personenkreis kennen; einer namentlichen Benennung stehen weder datenschutzrechtliche Gründe noch das Unionsrecht entgegen.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 –
Vorinstanz: Arbeitsgericht Bonn, Beschluss vom 16. Juni 2010 – 5 BV 20/10 –