Vor zehn Jahren kaufte der Helios-Konzern das Klinikum Buch. Über 1000 Mitarbeiter verloren seither ihren Job
Zur Festveranstaltung vor ein paar Tagen hat sich das Helios-Klinikum Buch herausgeputzt: Frisch verlegte Bodenplatten vor dem Haupteingang, die Terrasse von Unkraut befreit, neuer Rasen gesät.
Vor zehn Jahren – am 1. Juni 2001 – übernahm Helios das frühere Städtische Klinikum Buch, die Robert-Rössle- und Franz-Volhard-Klinik. Zur Jubiläumsfeier präsentierte sich der Klinikkonzern von seiner Schokoladenseite: Eine riesige Geburtstagstorte, mehrere hundert Gäste, darunter führende Manager, sind geladen, für sie eine Erfolgsgeschichte. Mehr als 1000 frühere Mitarbeiter werden nicht dabei sein. Sie haben seit 2001 ihren Arbeitsplatz verloren.
Eine davon ist Monika E., die leidvolle Erfahrungen mit ihrem früheren Arbeitgeber gemacht hat. Sie erinnert sich genau an diesen 1. November 2007. Sie ist gerade aus dem Urlaub zurück, als ihre damaligen Chefs sie zum Gespräch bitten – plötzlich soll sie einen „Auflösungsvertrag“ mit sieben Monaten Gehaltsfortzahlung unterschreiben. Sie stehe nicht mehr hinter dem Unternehmen, habe wichtige Caterings verschlampt, wird ihr vorgeworfen.
Monika E., seit 21 Jahren im Betrieb, leitet damals die Cafeteria und versteht die Welt nicht mehr. Verfehlungen? Welche? Ihre Chefs werden nicht konkret, drohen nur. Falls sie nicht unterzeichne, bekomme sie die Kündigung und eine Sperre durch das Arbeitsamt. Ein abgekartetes Spiel, der Nachfolger steht schon fest. Die Frau fühlt sich überrumpelt, ist sprachlos. Sie unterschreibt. „Ich wollte nicht mehr in die verlogenen Gesichter sehen“, sagt Monika E.
Helios hat seit 2001 viele Mitarbeiter aus dem Unternehmen gedrängt. Auf einer internen Betriebsversammlung im Frühjahr 2010 spricht der Betriebsratsvorsitzende Rainer Stein von „Gutsherrenmentalität“ und von einem „System der Angst und des Kuschens.“ Eine Folge des Gewinnstrebens? Helios strebt eine Umsatzrendite von 15 Prozent an, das sind in Buch mit rund 200 Millionen Euro Umsatz rund 30 Millionen Euro.
Nach außen werde „freundlich und gewinnend gelächelt“, sagt Stein auf der internen Versammlung. Ein Meister darin: Helios-Chef Dr. Francesco De Meo. Der Jurist präsentiert Helios gern als Erfolgsmodell, als grundsolides Unternehmen. Ohne Helios gäbe es das Krankenhaus in Buch nicht mehr. Man müsse „gute Qualität“ bieten, die „Verschwendung“ beseitigen, „ineffektive Strukturen“ abschaffen und „gute Arbeitsbedingungen“ bieten.
In keinem anderen europäischen Land ist der Anteil von Kliniken in privater Trägerschaft größer als in Deutschland. Etwa 30 Prozent der Häuser und 16 Prozent der Betten befinden sich in privater Trägerschaft – Tendenz steigend. Die privaten Träger erzielen mit den ehemals defizitären Häusern Gewinne. Laut Bundesverband Deutscher Privatkliniken zeichnen sich Kliniken in privater Trägerschaft durch effizientere Organisations- und Managementstrukturen aus – ohne dass dieses zu negativen Konsequenzen für die Mitarbeiter und Patienten führe.
In Buch gilt Helios 2001 als Hoffnungsträger. Das frühere Städtische Klinikum macht jährlich 50 Millionen DM Verlust, droht von 110 Millionen DM Schulden finanziell erdrückt zu werden. Die Bausubstanz ist marode, die Klinik über fünf Standorte verteilt. Im Bieterstreit setzt sich Helios auch mit dem Angebot durch, für 200 Millionen Euro ohne Fördermittel bis Ende 2008 einen Neubau mit 1000 Betten zu errichten.
Nach der Privatisierung steht jede von Helios übernommene Klinik vor einer Rosskur. Massiver Stellenabbau, starke Verdichtung der Arbeit, Ausgliederungen ganzer Mitarbeitergruppen und teilweise Weiterbeschäftigung zu Dumpinglöhnen, Reduzierung der Sachkosten, Kündigung und Neuaushandlung aller möglichen Dienstleistungs- und Einkaufsverträge. Es kommt zur Bildung von Stamm- und Randbelegschaften.
Betriebsbedingte Kündigungen sind im Krankenhaus Buch laut Kaufvertrag ausgeschlossen, doch die natürliche Personalfluktuation reicht den neuen Betreibern bald nicht mehr. Der neue Verwaltungsleiter Jörg Reschke hebelt den Kaufvertrag aus mit vier sogenannten „Sprintprämienaktionen“ zwischen Herbst 2003 und Dezember 2005. Gegen Zahlung von meist fünfstelligen Summen verlassen viele Mitarbeiter das Unternehmen, auch Hochqualifizierte. Bis Ende 2005 sinkt die Zahl der Mitarbeiter auf rund 2200.
Die Zahlung solcher „Sprintprämien“ dürfte Helios nicht schwergefallen sein. Denn für die im Kaufvertrag festgeschriebene „Beschäftigungssicherung“ und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2005, der nach dem Verkauf der Kliniken als Verhandlungserfolg gefeiert worden war, muss das Land Berlin teuer bezahlen: Mehr als 18 Millionen Euro stehen dem Klinikkonzern laut Kaufvertrag für die „Beschäftigungssicherung“ zu – trotzdem wird massiv Personal abgebaut. Möglich macht das ein schlecht formuliertes Vertragswerk, dem das Land zugestimmt hat. Im Kaufvertrag sei „Stillschweigen“ vereinbart worden, so eine Helios-Sprecherin.
Parallel werden Betriebsteile in Tochterunternehmen ausgegliedert. Zuerst EDV, Logistik, Technik, später Küche, Catering, Service, Stationshilfen, Patientenaufnahme, interner Patiententransport, 2009 der medizinische Schreibdienst und die Zentralsterilisation. Für Stein ein „Dilemma“, meist schließen die Töchter keine Tarifverträge mit Verdi, sondern mit der IG Bau oder NGG. Mitarbeiter müssten „deutliche Absenkungen“ der Einkommen hinnehmen. Wie Monika E. und ihre Mitarbeiter. Sie wurden 2007 in eine Helios-Tochter, die Helios-Servicegesellschaft Berlin-Brandenburg gedrängt, die die Stundenlöhne von 11 bis 12 Euro stufenweise auf bis etwa 7,30 bis 7,50 Euro senkt. Im Sommer 2007 ist der Neubau an der Schwanebecker Chaussee fertig. Helios spricht vom „modernsten Krankenhausneubau Europas“, errichtet für 200 Millionen Euro – ohne Fördermittel. Am Tag der offenen Tür im Juni drängen rund 20 000 Menschen ins Gebäude, bestaunen moderne OP-Technik, besichtigen Kreißsäle und die moderne Wochenstation. Kurz nach dem Einzug im Juli 2007 folgt der Schock: Der Neubau ist voller Mängel. Die Stimmung der Mitarbeiter kippt, es hagelt Beschwerden von Patienten und Angehörigen.
In einem offenen Brief listen Mitarbeiter, die anonym bleiben, „unhaltbare Zustände“ im Haus auf, sprechen von „Mängeln und Fehlplanung“. In den OP-Sälen würden Ärzte und OP-Schwestern bei offenen Fenstern operieren. Helios habe teilweise auf moderne Lüftungssysteme verzichtet, die Klimaanlage funktioniere nicht, schwer herzkranke Patienten im 3. Stock lägen im Sommer in 30 Grad heißen Zimmern. Über klimatisierte Räume verfüge nur die Privatstation. Auf der Entbindungsstation fehle ein Kreißsaal-OP – sonst Standard in jeder Klinik. Hier begnüge sich Helios mit einem Provisorium.
Der Brief zeigt Wirkung, Helios macht sich an die Beseitigung der Probleme. Es wird beschlossen, alle 18 OP-Säle mit modernen Lüftungssystemen auszustatten. Die Geburtshilfe bekommt einen Kreißsaal-OP. Die Umrüstungen dauern bis Ende 2008. Kurz nach dem Umzug werden Staubwände gezogen, Bauarbeiter geben neben den Kreißsälen den Ton an.
Der Stellenabbau, insbesondere unter Verantwortung von Jörg Reschke, heute Helios-Finanzchef, erschwert die Arbeit zusätzlich, vor allem in der Pflege wird es eng. „Mindestbesetzungen“ werden zum Standard gemacht, schreibt der Betriebsratsvorsitzende Stein. „Ausfälle durch Krankheit sind kaum noch kompensierbar.“ Zwar will Helios die „Qualitätsführerschaft“ in den Akutkliniken übernehmen, spricht gern von „Spitzenmedizin“, doch in Buch ist das Vertrauen der Mitarbeiter ins eigene Haus erschüttert. Ende 2007 führt der Betriebsrat unter Pflegekräften eine Befragung durch, 467 von 843 Mitarbeitern antworten. 69 Prozent der „einfachen“ Pflegekräfte (und immerhin 30 Prozent der Führungskräfte) geben an, sie würden sich im Helios-Klinikum Berlin-Buch nicht behandeln lassen.
Jennifer Kirchner, ab 2008 neue Verwaltungsleiterin, setzt den Sanierungskurs fort, macht den drastischen Personalabbau unter Reschke aber teilweise rückgängig, stellt bis Herbst 2009 etwa 150 neue Pflegekräfte ein. Das kostet Geld, statt zwölf Millionen Euro Gewinn, wie eingeplant, macht Buch in 2008 einen Verlust von knapp sechs Millionen Euro. 2009 macht das Gerücht die Runde, Kirchner stehe unter Druck, sie erfülle die Gewinnerwartungen der Konzernführung nicht. Im November setzt Helios in Buch den Rotstift an. Investitionen in Millionenhöhe, darunter auch der Neubau der Kinderklinik, werden gestrichen. Zunächst trägt Kirchner die Maßnahmen mit, die öffentlich als „kurze Wege, engere Zusammenarbeit“ verkauft werden. Ein Chefarzt meint: „Schöner kann man eine Bankrotterklärung nicht formulieren.“
Schließlich wirft Kirchner das Handtuch. Vor Kollegen und Chefärzten beklagt sie, Stil und Umgang der Zentrale seien unerträglich geworden. Sie könne die geplanten Maßnahmen nicht mittragen, finde vor allem die Entscheidung, den Bau der modernen Kinderklinik zu streichen, nicht in Ordnung. Hier stehe sie im Wort. Die Kinderklinik, die ein Aushängeschild werden sollte (die Mäzenin Maren Otto hatte einen Millionenbetrag zur Unterstützung zugesagt), befindet sich heute in einem Kellergeschoss der Klinik. Dafür wurden das Bewegungsbecken der Physiotherapie sowie ein fast nagelneuer Veranstaltungssaal abgerissen.
Als im Frühjahr dieses Jahres die Tarifverhandlungen auf der Stelle treten, starten Ärzte Warnstreiks, in Buch beteiligt sich jeder zweite Arzt daran. Kurz darauf erzielt der Marburger Bund ein akzeptables Ergebnis. Wenig später protestieren die nichtärztlichen Mitarbeiter. Verdi einigt sich mit Helios auf Verbesserungen. Negative Schlagzeilen mögen der Konzern und Mutter Fresenius nicht.
Monika E. hat längst einen neuen Job. Doch mit ihrem früheren Chef, dem damaligen Geschäftsführer der Helios-Servicetochter HSSB, Enrico Jensch gab es 2008 ein Wiedersehen – vor dem Arbeitsgericht. Als sich ihre Schockstarre über den eilig unterschriebenen Auflösungsvertrag gelöst hat, reicht sie Klage auf Weiterbeschäftigung ein. Die Helios-Tochter präsentiert angebliche Verfehlungen. So sollen 200 Kilo Butter schlecht geworden sein. „Eine solche Menge hatten wir nie auf Lager“, kontert Monika E. Am 2. Oktober 2007 sollen acht Kilo Gurken und Tomaten verdorben sein. „Was sagen Sie dazu?“, fragt der Arbeitsrichter. „Zu diesem Zeitpunkt war ich in Urlaub“, antwortet Monika E. „Das ist mir auch aufgefallen“, sagt der Richter.
Vor Gericht verständigt man sich über eine höhere Abfindung, der Arbeitsrichter legt Wert darauf, dass die Klägerin ein ordentliches Zeugnis erhält. Dass sich Helios vor Gericht „wie ein Anfänger präsentiert hat und die Lügen so leicht zu entlarven waren, wundert mich noch heute“, sagt Monika E. Der Karriere ihres Ex-Chefs hat es nicht geschadet. Enrico Jensch, früherer Bürgermeister von Bad Saarow, ist heute Geschäftsführer im Helios-Klinikum Schwerin, mit rund 1400 Betten das größte Haus im Konzern.