Aufruf der Medibüros, Medinetze und medizinischen Flüchtlingshilfen zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Eingeführt wurde das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) 1993 mit dem Ziel, Asylsuchende und Geflüchtete abzuschrecken, u.a. durch Leistungen unter dem Existenzminimum und unzureichende Gesundheitsversorgung. Nach diesem Gesetz ist nur die Behandlung akuter Krankheiten und Schmerzen abgedeckt. Jede darüber hinausgehende Behandlung ist eingeschränkt und individuell beim Sozialamt zu beantragen.
Über die Behandlungsbedürftigkeit entscheiden dort medizinisch unqualifizierte Mitarbeiter*innen. Dies führt zu gesundheitlicher Fehl- und Unterversorgung. Heute bekommen nicht nur Asylsuchende, sondern auch Geduldete, Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln die eingeschränkten AsylbLG-Leistungen. Die meisten von ihnen bleiben dauerhaft in Deutschland. Auch Menschen, die sich illegalisiert (also ohne Papiere) in Deutschland aufhalten, haben Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG. Ihnen droht nach dem Kontakt mit dem Sozialamt jedoch die Abschiebung. Daher begeben sie sich oft nicht in ärztliche Behandlung. Krankheiten, Trauma- oder Unfallfolgen werden so verschleppt bis diese chronifizieren oder zu Notfällen werden. Diese medizinische Unterversorgung ist lebensgefährlich und ethisch nicht zu verantworten.
Seit der Einführung ist das AsylbLG mehrfach verschärft bzw. ausgeweitet worden, es generiert tagtäglich Ausgrenzungen und befördert Diskriminierung. Teile des Gesetzes wurden 2012 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, das Gesetz muss deshalb zurzeit überarbeitet werden.
Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. Das gilt für alle, die sich in Deutschland aufhalten.
Gemeinsam mit deutschen Wohlfahrts- und Sozialverbänden, Ärzt*innenvertretungen, Flüchtlingsräten und Geflüchteten-Selbstorganisationen fordern wir die Abschaffung des AsylbLG und die Einbeziehung der betroffenen Menschen in die regulären sozialen Sicherungssysteme und die gesetzlichen Krankenkassen. Die Versorgung wäre dann um ein vielfaches menschenwürdiger, aber auch kostensparender und unbürokratischer.
Das Recht auf Gesundheitsversorgung gilt für alle!
Presseerklärung vom 19. August 2015
Medizinische Minderversorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen beenden
33 Medibüros und Medinetze in Deutschland richten zusammen mit dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte und medico international an den Bundestag den Aufruf, die medizinische Minderversorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu beenden.
Dies schreibt das Asylbewerberleistungsgesetz vor, das eine Vielzahl von Gesundheitsleistungen unterbindet. Die Folge sind Elend, Gesundheitsschäden und manchmal Todesfälle. Diese Minderversorgung ist zudem noch teurer als die Regelversorgung von Kassenpatienten. Mehrkosten entstehen durch das aufwändige behördliche Verfahren, das überwiegend in der Hand von VerwaltungsmitarbeiterInnen ohne medizinischen Sachverstand liegt, und durch Nichtbehandlung oder Verschleppung von Krankheiten, die sich zu teuren Notfällen auswachsen. Dies soll offensichtlich von Zuwanderung nach Deutschland abschrecken. Dabei gibt es keinerlei Belege dafür, dass eine bessere Gesundheitsversorgung zu erhöhter Zuwanderung führte. Die gesundheitliche Minderversorgung muss zudem als verfassungswidrig gewertet werden, denn „die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ (Bundesverfassungsgericht 2012).
Wir fordern die Streichung des § 4 des AsylbLG und eine medizinisch bestimmte Krankenversorgung aller Asylsuchenden, Flüchtlinge, Geduldeten und Papierlosen durch Integration in gesetzliche Krankenkassen, denn ausreichende Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht.
Die 33 Medibüros und Medinetze in Deutschland sind zusammen mit kooperationswilligen ÄrztInnen, Krankenhäusern und Hebammen aktiv, um im ständigen Kontakt mit den Betroffenen wenigstens örtlich eine ausreichende menschenrechtlich basierte Gesundheitsversorgung sicherzustellen.
Es ist Zeit, dies überflüssig zu machen!
Dr. Anna Kühne, Prof. Dr. Wulf Dietrich
(Mitglieder des Vorstands des vdää)
Siehe auch: Interview in der jw vom 24.08.2015