Assistenten gibt's nicht zum Billigtarif

Mehr als 100 Beschäftigte, die Behinderte unterstützen, demonstrierten vor Senatsverwaltung für Soziales

Trillerpfeifen, Transparente und Schilder. Mehr als hundert Beschäftigte aus dem Bereich Persönliche Behindertenassistenz sind trotz Regens und Gewitters am Mittwochnachmittag vor die Senatsverwaltung für Soziales in Berlin-Kreuzberg gekommen. »Assistenzlöhne Rauf! McPflege abwählen«, heißt es auf einem großen Transparent.

Die Beschäftigten, die von einigen Rollstuhlfahrern unterstützt werden, fordern: Deutliche Lohnsteigerungen und »Tariflöhne in Höhe von 11,50 Euro für alle« sowie eine offizielle Anerkennung ihrer Tätigkeit als Assistenten für schwerbehinderte Menschen.

Nicht_zum_Billigtarif (Neues Deutschland, 09.06.2011; von Martin Kröger)

»Unser Problem ist, dass wir von Tür zu Tür rennen und uns Geschäftsführung und Senat sagen, ihre Taschen sind leer«, sagt Carsten Does vom Betriebsrat der »ambulante dienste e.V.«, einem der drei großen Sozialunternehmen für diesen Bereich in der Stadt. »Wir haben keinen Ansprechpartner«, kritisiert Does.

Von laufenden Verhandlungen über Entgelte zwischen Senat, Pflegekassen und den Sozialunternehmern, die Anfang Mai begannen, sind die Arbeitnehmer ausgeschlossen. Dabei hängen von der Entscheidung über eine Erhöhung der Entgelte auch maßgeblich Spielräume für Lohnerhöhungen ab. Seit 2001 wurde der Vergütungsvertrag zwischen Kostenträgern und Anbietern der persönlichen Behindertenassistenz, der sogenannte Leistungskomplex 32, nicht mehr erhöht. Für die Beschäftigten bedeutete das massive Einkommensverluste von bis zu 25 Prozent, wie Does vorrechnet. Für zusätzliche Unruhe sorgen auch Hinweise aus den Verhandlungen, nach denen Vergütungssätze weiter gesenkt und der Kreis der Berechtigten Assistenznehmer eingeschränkt werden soll.

Genaues über den Stand der Verhandlungen ist indes nicht zu erfahren. »Das ist ein streng vertrauliches Verfahren«, erklärt Anja Wollny, die Sprecherin von Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE). Sie verweist aber darauf, dass der Senat seit Beginn dieses Jahres ein Urteil des Bundessozialgerichts von Anfang 2009 anwendet. »Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können die Anbieter, wenn sie Tarif zahlen und das belegen, die Kostensätze für die Assistenz höher ansetzen«, sagt Wollny. Grundsätzlich gilt jedoch auch in diesem Bereich der Wettbewerbszwang, den Schwarz-Gelb Mitte der neunziger Jahre einführte.

Die Gewerkschaft ver.di setzt sich unterdessen für einen Tarifvertrag für den Assistenzbereich ein. »Unser Ziel ist es, sowohl die Arbeitgeber als auch den Senat darauf aufmerksam zu machen, dass so eine wertvolle Arbeit nicht zu Dumpinglöhnen geschehen darf«, sagt der zuständige Gewerkschaftssekretär Stefan Thyroke. Der ver.di Vertrauensmann bei »ambulante dienste«, Klaus Wechsel, betont, dass zwar die durchschnittliche Bezahlung bei knapp unter zehn Euro liege, aber selbst das angesichts der »verantwortungsvollen und gesamtgesellschaftliche Aufgabe« nicht ausreichend sei.

Insgesamt 1000 Beschäftigte unterstützen in Berlin 200 Assistenznehmer. Das Modell der persönlichen Assistenz wurde Anfang der 1980er Jahre von behinderten Menschen als Alternative zur Unterbringung in Heim oder Familie durchgesetzt, um selbstbestimmt und ohne Bevormundung das eigene Leben gestalten zu können.

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