Mit allen Mitteln

Klinikkonzern Wicker versucht, ver.di-Streik durch Einschüchterung und Aufnahmestopp zu ­brechen. Doch die Beschäftigten kämpfen weiter für einen Tarifvertrag

Mit allen Mitteln

Werner Wicker ist ein Patriarch der alten Schule. Der 77jährige Eigentümer des gleichnamigen Klinikkonzerns will sich nicht reinreden lassen, wie er seine rund 4000 Beschäftigten zu behandeln hat – schon gar nicht von der Gewerkschaft.

Diese kämpft seit Anfang November vergangenen Jahres mit Arbeitsniederlegungen in sechs von den zwölf Häusern des Unternehmens für einen Tarifvertrag. Doch die Wicker-Leitung versucht, das mit allen Mitteln zu verhindern – Abmahnungen, Hausverbote und Einschüchterung inklusive. In der Bad Homburger Reha-Klinik hat die Geschäftsleitung nun sogar einen Aufnahmestopp für neue Patienten verhängt.

»Ich möchte eigentlich arbeiten und nicht streiken, aber wenn die Situa­tion so ist, geht es nicht anders«, sagt Sebastian Zaremba. Seit neun Jahren arbeitet der Physiotherapeut bei Wicker in Bad Homburg in der Nähe von Frankfurt am Main. Am 2. November vergangenen Jahres hat er erstmals die Arbeit niedergelegt, am zweiten Streiktag trat er der Gewerkschaft ver.di bei. »Ich habe vorher nicht gedacht, daß man sich organisieren muß, aber mir geht es um meine Familie. Ich komme mit dem Geld hier einfach nicht hin«, erklärt Zaremba.

Bis zur Geburt seines Sohnes vor vier Jahren war er in Vollzeit bei Wicker angestellt. Er brachte weniger als 1300 Euro im Monat nach Hause. »Damit kann man einfach keine Familie ernähren.« Deshalb arbeitet er jetzt kürzer in der Reha-Klinik und dafür zusätzlich als selbständiger Physiotherapeut. »Früher war ich stolz, hier beschäftigt zu sein«, sagt der 35jährige. »Die Zusammenarbeit im Team ist bei uns auch immer noch toll.« Nur die Wertschätzung durch das Unternehmen fehle – vor allem die finanzielle.

»Hier kommen viele nicht mit ihrem Gehalt aus«, stimmt Gerlinde Wolf zu. »Deshalb müssen sie sich Zweit- oder Drittjobs suchen, um über die Runden zu kommen.« Die Medizinische Bademeisterin selbst geht nach Feierabend und an Wochenenden putzen – trotz Vollzeitstelle. Denn von den 1165 Euro netto, die sie bei Wicker verdient, kann sie schlicht nicht leben. »Davon geht schon die Hälfte für Miete drauf. Mal Kleider kaufen oder Urlaub machen wäre ohne Zweitjob gar nicht möglich«, sagt die 60jährige.

Dabei ist die Arbeit bei Wicker – wie in allen Kliniken – sehr anstrengend. Das liegt auch daran, daß mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Patienten versorgt werden müssen. »Die Personalbesetzung ist auf eine Belegung von 70 bis 80 Prozent ausgelegt«, berichtet eine Angestellte. »Sobald die Auslastung höher ist, fallen Therapien aus.« So hätten beispielsweise in der vergangenen Woche an einem einzigen Tag 38 Anwendungen in der Physiotherapie nicht stattfinden können – kein Streiktag wohlgemerkt.

Entsprechend groß sind die Auswirkungen der Arbeitsniederlegungen, die ver.di immer erst kurzfristig ankündigt. Der ständige Ausfall von Therapien habe bereits zu Beschwerden der Kostenträger geführt, heißt es.

Der Streik entfacht also durchaus ökonomischen Druck. Die Wicker-Geschäftsleitung – die eine jW-Bitte um Stellungnahme zu den Vorfällen ignorierte – reagiert darauf mit einer ungewöhnlichen Maßnahme: Ab sofort werden in Bad Homburg nach ver.di-Angaben keine neuen Patienten mehr aufgenommen. Aktuell sind noch rund drei Viertel der Betten belegt. Doch wenn die Klinikspitze bei ihrem Vorhaben bleibt, wird es nach Ostern kaum mehr als ein Drittel sein. Diese Strategie soll in der Belegschaft offenbar Angst vor Betriebsschließung und Arbeitsplatzverlust erzeugen – teilweise mit Erfolg. So forderten 54 Mitarbeiter den Betriebsrat in einer Petition auf, »mit der Geschäftsleitung zur Arbeitsplatzsicherung in Verhandlungen zu treten«. Zu einem Gespräch mit den Betriebsräten waren sie bei Übergabe der Liste nicht bereit.

Im Antwortschreiben der Interessenvertreter heißt es: »Der Betriebsrat befindet sich im permanenten Austausch mit der Geschäfts- und Verwaltungsleitung zu Fragen der Standortsicherung und zum Erhalt aller Arbeitsplätze.« Lohnverhandlungen lehnt der Betriebsrat hingegen ab. »Das ist Sache der Gewerkschaft«, betont dessen Vorsitzende Steffi Lohnes. Für den Betriebsrat gilt stets Friedenspflicht, weshalb er in Konflikten keinerlei Druck erzeugen kann. Das Bundesarbeitsgericht hatte Verhandlungen vor diesem Hintergrund einst als »kollektives Betteln« bezeichnet. Ohnehin verbiete es der gesetzlich fixierte Tarifvorbehalt dem Betriebsrat, Entgeltverhandlungen zu führen, meint Lohnes.

Doch mit ver.di will die Konzernspitze nicht verhandeln. »Man ist nicht einmal bereit, mit uns ins Gespräch zu gehen«, kritisiert Gewerkschaftssekretärin Hilke Sauthof-Schäfer. »Statt dessen reagiert die Geschäftsleitung kopflos und mit massiver Einschüchterung auf den Streik.« Der Kampfbereitschaft hat das bislang aber keinen Abbruch getan. 60 bis 70 der insgesamt rund 200 nichtärztlichen Mitarbeiter zählen laut Sauthof-Schäfer zum harten Kern der Streikenden. Trotz des großen Drucks sei ein Abbröckeln nicht festzustellen.

Enttäuscht sind die Streikenden vom Verhalten vieler Ärzte. Für diese gilt bereits ein Tarifvertrag, den der Marburger Bund abgeschlossen hat. Dennoch beteiligen sich einige von ihnen lautstark an der Agitation gegen den ver.di-Streik. »Die Chef- und Stationsärzte machen Stimmung gegen uns«, beklagt ein Gewerkschaftsaktivist auf der Streikversammlung. »Dabei haben wir die Ärzte in ihrer Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag vor zweieinhalb Jahren unterstützt – und sie verweigern uns jetzt die Solidarität.«

Trotz aller Widerstände sind die Streikenden fest entschlossen, ihren Kampf fortzusetzen. »Wir schreiben Streikgeschichte«, meint einer von ihnen. Ein Erfolg bei Wicker wäre eine Ermutigung für die Beschäftigten anderer privater Klinikkonzerne, ebenfalls Tarifverträge durchzusetzen. Großen Applaus gibt es auf der Versammlung, als solidarische Grüße der Kollegen von Asklepios verlesen werden. Auch diesen privaten Klinikkonzern hat ver.di kürzlich zu Verhandlungen über einen Haustarifvertrag für seine drei hessischen Häuser aufgefordert. Die Wicker-Belegschaften könnten also demnächst Gesellschaft bekommen.

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