Langer Atem, Einfallsreichtum und ein wenig Sturheit haben jetzt endlich zu einem Ergebnis geführt. Die Löhne der Beschäftigten bei ambulante dienste e.V. werden erhöht.
Spätestens mit der Podiumsdiskussion am 30.09.2010 begann die Kampagne des Betriebsrats ambulante dienste e.V. zur Erhöhung der Vergütungssätze in der Persönlichen Assistenz. Politik, Verwaltung und Verbände waren geladen und wurden in den Folgemonaten immer wieder auf unsere Situation aufmerksam gemacht.
Höhere Löhne – Stellungnahme Betriebsrat 02.11.2011
Anlässe dazu waren die Besetzung des zweiten Verhandlungstermins zwischen Verwaltung und Trägern am 31.05.2011, die Kundgebung vor der Senatsverwaltung eine Woche später und die Teilnahme an der dritten und entscheidenden Verhandlungsrunde am 16.06.2011.
Mit dem Ergebnis zwischen der Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales und den Trägern und der schließlich nur reduzierten Bewilligung durch die Senatsverwaltung für Finanzen am 22.07.2011 lag der Ball wieder bei den Betrieben. Die Voraussetzung für den Senat höhere Vergütungssätze zu unterschreiben, sollte eine Einigung zwischen Leitung und Betriebsrat sein. Diese sollte sich am Tarifvertrag der Länder 2010 orientieren, um zu gewährleisten, dass und wie die erhöhten Gelder als Lohn bei den Beschäftigten ankommen. Insofern waren die Geschäftsführungen der drei Assistenzbetriebe zur Einigung mit den Arbeitnehmervertretungen gezwungen.
Seitdem verhandeln Betriebsrat und Leitung des ambulante dienste e.V. um eine Vereinbarung. Dabei wurde schnell deutlich, dass trotz des erhöhten Verhandlungsergebnisses eine 100% Umsetzung des TVL nicht möglich sein wird.
Für uns als Betriebsrat kam erschwerend hinzu, dass die Tariflogik nach TVL nicht zwingend die Vergütungslogik ist, die in einem Betrieb mit 90% „Unqualifizierten“ zufriedenstellend anwendbar wäre. Tariflogik nach TVL heißt nämlich u.a., dass Zeugnis und Qualifikation bewertet und finanziell abgegolten werden. Je qualifizierter der Berufsabschluss, desto höher der Stundenlohn. Zum zweiten, und damit konnten wir besser leben, je länger die Berufs- und Betriebszugehörigkeit desto größer die Erfahrung, die ihrerseits finanziell vergolten wird.
In irgendeiner Form mussten also die Assistent_innen in der Tariflogik ihren Platz finden, wollte man die Kostenträger zu höheren Entgelten bewegen. Mitte der 90er Jahre wurden zur Errechnung der Personalkosten der Dienste die Gehälter für Assistenz analog zu denen der Pflegehelfer angesetzt. Dies entspricht nun keineswegs der Selbstbeschreibung unserer Arbeit, musste jetzt aber als Notvehikel herhalten, um Zugang zur Tarifsystematik zu gewinnen.
Für die Zukunft wird es notwendig sein, der Persönlichen Behindertenassistenz ein Berufsbild und ein Qualifikationsprofil zu erarbeiten. Andernfalls bleibt ständig die Gefahr, erneut aus dem System zu fallen und von der Lohnentwicklung abgeschnitten zu werden.
Was wir nun ausgehandelt haben, orientiert sich am Tarifvertrag Länder 2010 und tritt zum Oktober 2011 in Kraft. Wir erreichen mit dieser Vereinbarung eine Erhöhung der Beschäftigtenentgelte in der Summe um ca. 17% für die Jahre 2012-2013 und um weitere ca. 7% in den Jahren 2014-2015. Mit diesem Vertragsabschluss können die Versäumnisse von mehr als 15 Jahren leider nicht korrigiert werden – die Persönliche Behindertenassistenz war zu lange von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt.
Es ist zudem gewährleistet, dass keine/-r weniger verdienen wird als bisher. Andernfalls besteht die Möglichkeit im Zuge des Bestandsschutzes beim alten Vertrag zu bleiben. Das vorgegebene Muster TVL, das nicht in allem unseren Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht, aber auch nicht einfach nach eigenem Gusto abgeändert werden konnte, führt dazu, dass die Entgeltsteigerungen je nach Beschäftigtengruppe und Erfahrungsstufe unterschiedlich hoch sind. Ganz einfach, weil der eine bis jetzt schon näher am TVL liegt als der oder die andere.
Die Grundlöhne berechnen sich nun nach einer Tabelle mit 8 Beschäftigtengruppen und Gehaltsstufen zu je 6 Erfahrungsstufen. Diese Tabelle ist Teil der Betriebsvereinbarung und wird wie diese jederzeit einsehbar sein. Wir werden die Leitung bitten, die gesamte Betriebsvereinbarung auf die Webseite von ambulante dienste e.V. zu stellen, sodass sie jede/-r in Ruhe prüfen kann.
Um die Lohnschere zwischen den „unqualifizierten“ Assistent_innen und den unterschiedlichen Gruppen mit Qualifikationsprofil nicht zu verschärfen, wandten wir die dementsprechenden Kriterien des TVL an. Zuschläge für die Assistenz vor Ort, die nur den Assistent_innen gezahlt werden, sind ab jetzt voll zu berücksichtigender Anteil der Summe Lohnkosten und gehen in die Kalkulation ein.
Neben dem Sonntagszuschlag, der analog zum TVL etwas niedriger sein wird (2,54 €), gibt es in Zukunft Samstagszuschläge (von 13:00-21:00 in Höhe von 2,04 €) und Nachtzuschläge (von 21:00–6:00 in Höhe von 1,27 €). Der Feiertagszuschlag bleibt bei 3,57 €. Erwirkt haben wir also eine große Erhöhung der Zuschläge insgesamt und eine breitere Streuung über alle Assistent_innen hinweg.
Schwieriger darstellbar sind hier die verschiedenen Erhöhungen der Grundlöhne der acht Beschäftigtengruppen mit den jeweiligen Erfahrungsstufen (= Betriebszugehörigkeiten). Der TVL gibt die Gruppen der Beschäftigten sowie Zahl und Länge der Erfahrungsstufen vor.
Grundsätzlich hinfällig ist damit auch die Unterscheidung von studentischen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.
Vorsichtig geschätzt erhöht sich aber der Grundlohn für etwa 95% aller Arbeitnehmer_innen sofort ab Oktober 2011. Die übrigen 5% fädeln innerhalb eines Jahres (mit Erreichung der nächsten Erfahrungsstufe) in die Entgeltsystematik ein und bleiben bis zu diesem Zeitpunkt bei ihrem höheren alten Entgelt.
Einen deutlichen Wermutstropfen gibt es aber auch: Trotz wieder 25 Tagen Urlaub für alle AssistentInnen und eines zusätzlichen Urlaubstages ab 2014 bleibt die Urlaubsfrage unbefriedigend. Die Mittel reichten einfach nicht aus, um auch hier die unterschiedliche Behandlung zwischen Org-mitarbeiter_innen und Assistent_innen anzugleichen.
Wir sind in dieser Frage wie in anderen Detailfragen, die unter dem Zeitdruck der abzuschließenden Betriebsvereinbarung verschoben werden mussten, in den nächsten Monaten mit der Leitung noch im Gespräch.
Angesichts der Tatsache ihre Haushalte für die nächsten vier Jahre in der Grundstruktur festschreiben zu müssen, ist die Leitung vorsichtig und will nichts verteilen, was sie noch nicht hat. Es ist aber auch Gegenstand der Betriebsvereinbarung, wie mit eventuellen positiven Haushaltsentwicklungen umgegangen werden soll.
Berlin, 02.11.2011 – Euer Betriebsrat
Betriebsrat c/o ambulante dienste e.V., Gneisenaustr.2a, 10961 Berlin
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