Positionspapier des Betriebsrats ambulante dienste e.V. im Rahmen der Kampagne und der Aktionen zu den anstehenden Vergütungsverhandlungen des Leistungskomplexes 32
Obwohl die Vergütungsverhandlungen zum Leistungskomplex 32 noch nicht einmal begonnen haben und sicherlich weitere Aktionen notwendig sein werden, um den Druck auf die Verhandlungen hochzuhalten, wollen wir anlässlich der entstandenen Begleitmusik zur Kampagne noch einmal in zentralen Punkten unsere Position verdeutlichen und ein paar Dinge klar stellen.
Wir kämpfen für bessere Vergütungssätze des Leistungskomplexes 32. Diese kommen unmittelbar erst einmal nur unserem Arbeitgeber ambulante dienste e.V. zugute, indirekt stellen sie aber die zentrale Voraussetzung für eine bessere Entlohnung der Beschäftigten dar. Die Frage, welcher Anteil in die Regie- und Organisationskosten fließt und welcher den Beschäftigten zukommt, gilt es mit dem jeweiligen Arbeitgeber zu verhandeln und zu erstreiten.
Wir sehen die Notwendigkeit, dass die verschiedenen Interessensgruppen – AssistenznehmerInnen, Träger und Beschäftigte – in dieser Kampagne an einem Strang ziehen. Auch wenn eine Erhöhung der Vergütungssätze letztlich allen zugute kommt, wollen wir diese Auseinandersetzung trotzdem in erster Person führen und an ihr teilhaben. Auch weil wir davon ausgehen, dass die Interessen und Forderungen der Beschäftigten nicht in Gänze von anderen vertreten werden können und in deren Forderungen und (Verhandlungs)strategien aufgehen.
Im diesem Zusammenhang haben wir am 30.09.2010 eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der politischen Parteien und einem Vertreter des zuständigen Senats organisiert, zu der wir alle Beteiligten und Betroffenen eingeladen haben. Die Besetzung des Podiums war von dem Gedanken bestimmt, möglichst viele Interessensgruppen mit ihren Positionen zu Wort kommen zu lassen. Insofern sind wir dann doch etwas verwundert, wenn uns mangelnde Zusammenarbeit vorgeworfen wird. Gerade wir haben genügend Anlässe in Erinnerung, zu denen wir erst gar nicht eingeladen oder gar wieder ausgeladen wurden.
Bei uns entsteht an dieser Stelle der Eindruck, dass es hier um die Kontrolle darüber geht, wie persönliche Assistenz öffentlich thematisiert wird und wer das Recht hat, in ihrem Namen zu sprechen. Genauso wie wir respektieren, dass AssistenznehmerInnen persönliche Assistenz in ihrem Sinne definieren und thematisieren, so erwarten wir, dass wir über unsere Arbeit und Arbeitserfahrung sprechen können, gerade weil sie als quasi Nicht-Arbeit aus dem öffentlichen Blick verbannt und unter den Tisch gekehrt wird.
Wir respektieren den Begriff der Anleitungs- und Alltagskompetenz, wie er beispielsweise auch im Selbstverständnis und Leitbild von ambulante dienste e.V. Ausdruck findet, genauso wie den Wunsch nach Selbstbestimmung und Autonomie der AssistenznehmerInnen. AssistentInnen bleiben dennoch autonome bzw. autonom handelnde Subjekte. Wir widersprechen einem mystischen In-Eins-Setzen zwischen AssistenznehmerInnen und AssistentInnen. Handeln, Denken, Bewerten und Fühlen der AssistentInnen bleiben genauso Eigentätigkeit wie dasjenige der AssistenznehmerInnen, auch wenn AssistentInnen auf Anweisung der AssistenznehmerInnen arbeiten.
In der alltäglichen Assistenzarbeit gibt es darüber hinaus genug Situationen und Beispiele, die mit einem idealtypischen Begriff von persönlicher Assistenz nicht beschreibbar sind. Neben pflegerischen Tätigkeiten gehören dazu auch alltagsorganisatorische und psychosoziale Anforderungen und Aufgaben, die oftmals unter der Bedingung eines zunehmenden Verlusts der Anleitungs- und Alltagskompetenz der AssistenznehmerInnen zu erbringen sind. Wir finden es wichtig, dass dies in der öffentlichen Beschreibung von persönlicher Assistenz Berücksichtigung findet, um einerseits diesen Personenkreis nicht auszuschließen und um andererseits klar zu machen, dass es sich bei persönlicher Assistenz um mehr handelt als um einen Handgriff hier und eine Hilfestellung dort.
In der AssistentInnentätigkeit gibt es wie generell im sozialen Bereich eine Gratifikationskrise, die die materielle Seite ungenügender Entlohnung und die immaterielle Seite mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung hat. Gleichzeitig findet eine Verwissenschaftlichung von Pflege auf der einen Seite, eine Abwertung von körpernahen Tätigkeiten auf der anderen Seite statt. Das Recht auf eine bessere Gratifikation verwirkt man sich aber mit der Behauptung, für die Tätigkeit als AssistentIn bedürfe es keiner spezifischen Qualifikationen.
Vor diesem Hintergrund wollen wir nochmals auf folgendes hinweisen: persönliche Assistenz ist Lohnarbeit für die dort Beschäftigten. Persönliche Assistenz ist trotz aller Alleinstellungsmerkmale keine pseudoprivate Idylle, sondern Teil der personenbezogenen Dienstleistungen, die durch öffentliche Mittel finanziert werden. So lange wir es nicht schaffen, die Entlohnung vom gesellschaftlichen „Wert“ einer bestimmten Tätigkeit zu entkoppeln, bleibt berufliche Qualifikation eines der zentralen Argumente für die monetäre Bewertung einer spezifischen Tätigkeit. Insofern müssen sich Gegner und KritikerInnen einer formalen Anerkennung und eines spezifischen Berufsbild darüber im klaren sein, dass damit ein wesentliches Mittel gegen die Abdrängung der AssistentInnentätigkeit in den Niedriglohnsektor preisgegeben wird.
Für die Podiumsdiskussion haben wir mit Plakaten und Postkarten mobilisiert, die auch auf der anschließenden Ausstellung „Jenseits des Helfersyndroms II“ zu sehen waren. Ja, die dort verwendeten Slogans und Exponate spielen mit Klischees und Stereotypen. Sie sind ein Versuch, oftmals verdrängte Seiten, Wahrnehmungen und Erfahrungen in und mit der Arbeit ästhetisch zum Ausdruck zu bringen. Sie stellen somit die Kehrseite einer Darstellung von persönlicher Assistenz dar, die eine heile Welt suggeriert, in der AssistentInnen nur mal eben beim Anziehen einer Jacke helfen, ansonsten aber gemütlich Kaffee trinken und ein Ersatz-WG-Leben führen. Wer in der Assistenz arbeitet, weiß, dass weder das eine noch das andere mit der Arbeitsrealität zu tun hat. Insofern sind wir schon verwundert, wenn ein Unbehagen an den Verhältnissen als Denunziation von AssistenznehmerInnen interpretiert wird.
Wir hoffen auf eine Fortsetzung der Debatte in den nächsten Wochen im Rahmen der Kampagne und der Aktionen zu den Vergütungsverhandlungen oder eben danach, nach einem hoffentlich guten Verhandlungsergebnis! Der Betriebsrat wird sich weiterhin mit all seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die Erhöhung der Vergütungssätze des Leistungskomplexes 32 und für eine bessere Entlohnung der Beschäftigten einsetzen!