Ende März 2006, also vor knapp zehn Jahren, hat die erste Betriebsversammlung des im Dezember 2005 gegründeten Betriebsrats stattgefunden. Anlass genug, das Archiv der Einladungen zu den Betriebs-versammlungen zu vervollständigen.
Aus aktuellen Gründen aber auch Anlass zu einer speziellen Rückschau:
Ausgrabungen und Fundstücke zur Tendenzfrage
Schon in der ersten Einladung im März 2006 tauchen als Tops der Versammlung folgende Punkte auf: „Der neue Betriebsrat und die gesetzlichen Regelungen zum Einstellungsverfahren“ und „Ist ambulante dienste ein Tendenzbetrieb?„
In der Einladung zur zweiten Betriebsversammlung im Juni 2006 wird es dann schon konkreter:“Berichten müssen wir vom Gespräch des Betriebsrats mit dem Vorstand zu Fragen um die Begriffe Wirtschafts-ausschuss und Tendenzbetrieb. Die erste Betriebsversammlung dieses Jahres hatte uns den Auftrag für dieses Gespräch zur einvernehmlichen Lösung des Problems mit auf den Weg gegeben. Im Moment verhält sich der Vorstand nicht eindeutig in der Frage, inwieweit ein Einbezug der Beschäftigten in wirtschaftlichen Fragen gewünscht ist. Wo sie früher unter Beteiligung der Beschäftigten gespart haben, wollen sie heute ohne uns kürzen.„
Richtig ausführlich dann in der Einladung zur vierten Betriebsversammlung im Dezember 2016:
Exkurs: Tendenz
Eigenartiges Gefühl: die Tendenz hält auf. Früher sollte Tendenz wohl heißen, dass alle von einem Ziel geleitet in die selbe Richtung streben. Heute tritt einem der Tendenzbegriff zunehmend häufiger entgegen als ein Instrument des Personalmanagements und zur Einschränkung von Arbeitnehmer-Innenrechten. Es ist ein Versäumnis der letzten Jahre, dass emanzipatorisch ausgerichtete und sozial engagierte Projekte die eigenen Notwendigkeiten in kein Verhältnis gesetzt haben zu ihren Zielen. Tendenz heißt heute schlichtweg, dass man jeden neu einstellen kann, und zwar gerade auf Kosten derjenigen, die man zu Tendenzträgern deklariert: an der Eingangstür tendenzbedingt eingestellt, nach Bedarf betriebsbedingt gekündigt. „Unmittelbar gemeinnützige bzw. mildtätige Wohlfahrtszwecke“ müssen in Berlin zur Zeit in erster Linie gegen die eigene Belegschaft abgesichert werden. Was bleibt auch übrig, wenn man andere Erfolge nicht mehr hat. Die fehlende Akzeptanz und Anerkennung der Interessen einer Belegschaft lässt für das eigene Projekt nichts gutes erwarten. Der Zynismus mit dem ideelle Ziele vernutzt werden, um auch nur ein Minimum an Kontrolle und Korrektur seitens des Betriebsrats zu umgehen, kann bei den ArbeitnehmerInnen den selben Zynismus zur Folge haben. Gerade weil wir die soziale Definition und ihren Schutz ernst nehmen, finden wir ein derart pauschales Vorgehen den Beschäftigten gegenüber inakzeptabel. Wie soll durch eine Leitung nach außen vertreten werden, was sich betriebsintern der Transparenz und der Diskussion längst entzogen hat?
Neben der Frage der Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses ging es auch schon um die sog. Tendenzträgerschaft der Assistent_innen: „Auf der Geschäftsführungssitzung vom 27.10.2006 wurde dem Betriebsrat direkt mitgeteilt, dass Leitung und Vorstand die AssistentInnen als Tendenzträger verstehen. Zu den übrigen Beschäftigten verweigerte die Geschäftsführung mit Rücksicht auf das weitere Verfahren die Stellungnahme. Dieses Verhalten ist traurig, weil die unsererseits offen geführte Kommunikation nun mehr ersetzt wird durch eine Taktik eventueller juristischer Auseinandersetzung. So kann man jede ArbeitnehmerInnenvertretung zum Jagen tragen„.
In der Einladung zur ersten BV 2007 findet das Thema dann nochmals Erwähnung, bevor es für längere Zeit – zumindest vordergründig – aus dem Blickfeld verschwindet, vor allem überlagert von der Sparpolitik, den damit einhergehenden geplanten Lohnkürzungen etc. und den Initiativen und Aktionen dagegen.