Die soeben erschienene Ausgabe der Zeitschrift Wildcat (Wildcat 93) enthält ein Update zu den Kämpfen in der „Weißen Fabrik“, ausführlicher beschrieben u.a. in einem Schwerpunkt in der Wildcat 67 vom Oktober 2003. Wir dokumentieren hier den Artikel Neues aus der „Weißen Fabrik“ aus der Zeitschrift selbst. In der dazugehörigen Beilage findet sich unter dem Titel „So ein normales Arbeiterverhalten“ ein längeres vertiefendes Interview zum Thema.
Neues aus der „Weißen Fabrik“
In den 80er Jahren sagten wir zum Krankenhaus »weiße Fabrik«, um die Veränderungen im Krankenhaussektor und die damaligen Kämpfe zu verstehen und auch eingreifen zu können.
Diese These zielte nicht »nur« auf die fließbandmäßige Abfertigung von Patientinnen ab, sondern auf eine »Produktion«, die unter einem zentralisierten Kommando die Arbeit von (de)zentralisierten Pflegeeinrichtungen, Kliniken und Stationen ausbeutet – aber gerade deswegen auch zum Ort von Kämpfen wurde! Heute werden die Fallpauschalen (drg) als die Durchsetzung eben solch eines Kommandos diskutiert: vereinfacht ausgedrückt, zahlen die Krankenkasse feste Preise für bestimmte »Fälle«, nicht mehr wie früher die Liegetage im Krankenhaus. Das bringt die Kliniken dazu, ihre »Abläufe zu optimieren«: Auslagerung von Reinigungsdiensten, Schließung unrentabler Kliniken, Privatisierung von Häusern oder einzelnen profitablen Abteilungen, Rationalisierung von pflegerischen Tätigkeiten »am Bett«.
»Krankenhäuser mutieren zu Fabriken«…
…meint ein Artikel der aktuellen Nummer des Dr. med Mabuse, Zeitung für alle Gesundheitsberufe. Ausgangspunkt sind 13 Prozent mehr Krankenhausbehandlungen zwischen 2006 und 2011, unter dem generellen Spardruck im Gesundheitswesen würden die Kliniken »in die Menge gehen«: jährlich werden ca. drei Prozent mehr Krankenhausleistungen abgerechnet – dreiviertel davon seien auf eine Steigerung der Fallzahlen zurückzuführen. Es werden vor allem Behandlungen sein, die sich unter dem Fallpauschalensystem besonders gut abrechnen lassen, also – grob verallgemeinert – solche, bei denen der Maschineneinsatz die Handarbeit überwiegt, sowie intensiv-medizinische Behandlungen.
Diese Beschreibung deckt sich mit den allgemeinen Entwicklungen im Krankenhaussektor: Seit unserer letzten ausführlicheren Bestandsaufnahme (siehe Wildcat 67) hat sich die Anzahl der privaten Krankenhäuser weiter erhöht, inzwischen machen sie fast ein Drittel aus und haben um die 17 Prozent der Betten (2000 waren es um die 20 Prozent der Häuser und knapp zehn Prozent der Betten). Seit Beginn der 1990er Jahre ist ein Viertel der Betten abgebaut worden – gleichzeitig ist die Verweildauer fast um die Hälfte gesunken, die Anzahl der stationären Fälle um 25 Prozent gestiegen, bei den ambulanten Eingriffen gab es gar Steigerungen von bis zu 200 Prozent.
Die »Experten des Gesundheitsmarktes« loben diese »Effizienzsteigerungen« und die Einführung der Fallpauschalen, die das erst möglich gemacht haben soll. Die meisten anderen reden angesichts der Rationalisierung der Arbeitsorganisation bis an die Bettdecke immer öfter von einer »Industrialisierung der Krankenhäuser«.
Diese »Industrialisierung« der Arbeit und die weitere Auslagerung der »Produktion« sind der Hintergrund für aktuelle Kämpfe in diesem Bereich:
»Unruhige Krankenhäuser«
… titelte das Forum www.chefduzen.de nach einer Demo in Kiel gegen die Kündigung von 1000 ArbeiterInnen der Service-Tochtergesellschaft zsg der Damp-Krankenhausguppe. Die Damp-Gruppe war erst im März von der privaten Klinikkette Helios (Fresenius) geschluckt worden. In der Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag mit ver.di hatte Helios den ArbeiterInnen gekündigt. Anfang Juli kam es zu einer Einigung zwischen Helios und ver.di: 800 zsg-Beschäftigte können während der Abwicklungsphase ihrer Gesellschaft in neue regionale Helios-Servicegesellschaften zu den bisherigen Konditionen (für 18 Monate!) wechseln. Die etwa 200 Mitarbeiter, die keinen neuen Job finden, können bis zu 18 Monate in einer von Helios finanzierten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft unterkommen. Der Tarifvertrag für die 5600 ArbeiterInnen in Akut- und Rehakliniken richtet sich finanziell nach dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst vom Frühjahr. Aber nur an den Akutkliniken bekommt das Personal analog zu dem Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst ab August 2013 nochmals 1,4 Prozent mehr Geld, die ehemaligen zsg Beschäftigten sind von der Tariferhöhung ausgeschlossen!
Eine für die Entwicklung der letzten Jahrzehnte typische Auseinandersetzung: im Zuge einer Auslagerung und/oder weiteren Privatisierung versucht die Gewerkschaft einen Tarifvertrag durchzusetzen – der sich dann meist an den Spaltungen entlang hangelt, bzw. diese weiter zementiert.
Mit der Umstrukturierung der letzten 15 Jahre sind langsam zwei »Mauern« aufgebaut worden, die nur schwer wieder abzutragen sind:
zum einen verallgemeinern sich die Kämpfe selten, und bleiben meist auf einen Betrieb beschränkt – nicht selten sogar auf einen ausgelagerten / privatisierten Bereich innerhalb eines Betriebes. Zweitens gelingt es nur selten, die enorme Arbeitsverdichtung zum Thema zu machen – dabei könnte dies genau der Hebel sein, um die »Betriebsgrenzen« zu sprengen. Die Wut z.B. der PflegerInnen verpufft mit dem Verfassen von sogenannten »Überlastungsanzeigen«, die meist folgenlos in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Bürokratie versacken.
Ver.di will mit der Kampagne »Der Druck muss raus« die Arbeitsbedingungen in den Kliniken thematisieren, mit phasenweise viel Propaganda und Medienrummel wurden kleinere Aktionen an den Kliniken gemacht – um dann doch davor zu kneifen, diese Arbeitsbedingungen mal wieder in einem Streik zum Thema zu machen, stattdessen wurde im Frühjahr schnell ein Tarifvertrag abgeschlossen (siehe dazu z.B. die Kritik im Express 4/2012).
Seit einigen Jahren gibt es eine Mischung aus unabhängigen, aber auch links-gewerkschaftlichen Betriebsgruppen, kleine Initiativen, manchmal Einzelpersonen, die über die beschriebenen »Mauern« schauen wollen: die Arbeitsbedingungen thematisieren, nicht in der (notwendigen) Gewerkschaftskritik stecken bleiben, sondern mit den KollegInnen die anstehenden Fragen diskutieren – um wieder Boden für längst notwendige Schritte wettzumachen.
Fast täglich kommt es irgendwo auf dem in den letzten Jahren entstandenen Flickenteppich Gesundheitswesen zu Auseinandersetzungen. Und es ist nicht nur dem gewerkschaftlichen Co-Management geschuldet, dass es bislang noch nicht wieder für eine breitere Bewegung gelangt hat.
Das Interview in der beiliegenden Broschüre über die Unterschiede zwischen den 80er Jahren und heute spricht von »Verunsicherung und Angst« – aber vor allem davon, dass wir »mal wieder was ausprobieren müssten«!
Ein Postcriptum dazu:
In Spanien organisieren die ArbeiterInnen an den Krankenhäuser den Widerstand gegen die Kürzungen im »Gesundheitswesen«: Anfang Juli trafen sich in einem Krankenhaus in Madrid ArbeiterInnen aus verschiedenen Kliniken und Gesundheitszentren der Stadt. Ein Thema waren die angedrohte Privatisierung und Auslagerung von Küchen, Werkstätten, den Wäschereien und anderen sogenannten »bettfernen« Bereichen – eine in Deutschland schon fast abgeschlossene Entwicklung. Noch im Juli sollten Aktionen und weitere Treffen in Kliniken und Gesundheitszentren stattfinden.
Zum Weiterlesen: Kämpfe gegen die Gesundheitsfabrik – Ein Interview über die 70er Jahre