Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungsgesetz – PNG) vorgelegt. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die pflegerische Versorgung und ihre Finanzierung weiterzuentwickeln. Dies soll mit Blick auf die steigende Zahl der Pflegebedürftigen, den noch schnelleren Anstieg des prozentualen Anteils pflegebedürftiger Menschen aufgrund sinkender Bevölkerungszahl sowie den hohen Anteil an Pflegebedürftigen, der zugleich an Demenz erkrankt ist, erfolgen.
Referentenentwurf Neuausrichtung Pflegeversicherung
Wesentliche Inhalte und Maßnahmen des Gesetzes sind:
Leistungsverbesserungen für demenziell erkrankte Menschen
Über die Notwendigkeit zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs besteht weiterhin Konsens. Offene Fragen, die mit der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens zusammenhängen, sollen schnellstmöglich geklärt und ein Zeitplan für erforderliche Umsetzungsschritte erstellt werden. Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs soll durch einen Expertenbeirat fachlich fundiert vorbereitet werden. Dabei soll auf den Grad der Selbständigkeit bei der Durchführung der Aktivitäten oder der Gestaltung von Lebensbereichen abgestellt werden.
Zur zeitnahen Verbesserung der Situation von demenziell erkrankten Menschen, die Zuhause betreut werden, erhalten Pflegebedürftige mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz im Vorgriff auf eine neue Einstufung nach einem überarbeiteten Pflegebedürftigkeitsbegriff in den Pflegestufen 1 und 2 jeweils einen Aufschlag. Versicherte mit Versorgungsbedarfen unterhalb der Pflegestufe 0 können zusätzlich zu den niedrigschwelligen Angeboten nach § 45b SGB XI Pflegegeld oder Pflegesachleistungen empfangen. Darüber hinaus soll in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege der Einsatz zusätzlicher Betreuungskräfte ermöglicht werden.
Flexibilisierung der Leistungsinanspruchnahme
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen mehr Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung und Zusammenstellung des von ihnen gewünschten Leistungsangebots erhalten. Neben den heutigen verrichtungsbezogenen Leistungskomplexen soll die Möglichkeit geschaffen werden, sich auch für bestimmte Zeitvolumen zu entscheiden. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen zusammen mit dem Pflegedienst frei entscheiden können, welche Leistungen in diesem Zeitkontigent erbracht werden.
Der Pflegesachleistungsanspruch wird inhaltlich erweitert, neben der Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung sollen auch häusliche Betreuungsleistungen abgerufen werden können.
Ergänzend zu ambulanten Pflegediensten werden die Landesverbände der Pflegekassen verpflichtet, qualifizierte Leistungserbringer zur Erbringung von Sachleistungen zuzulassen und mit diesen Verträge zu schließen, die qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen und hauswirtschaftliche Versorgung anbieten.
Stärkung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Pflege“
Der Gesetzentwurf sieht eine Verpflichtung der Pflegekassen vor, dem Antragsteller neben dem Leistungsbescheid eine im Rahmen der Begutachtung zu erstellende gesonderte Rehabilitationsempfehlung zu übermitteln. Mit dieser Regelung sollen Pflegebedürftige bzw. ihre Angehörigen in die Lage versetzt werden, bestehende Ansprüche besser geltend zu machen.
Pflegenden Angehörigen soll die Möglichkeit eröffnet werden, in Einrichtungen, die zugleich Pflege und Betreuung für den zu pflegenden Angehörigen gewährleisten, Rehabilitationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Gleichzeitige Gewährung von Pflegegeld und Kurzzeit- bzw. Verhinderungspflege
Bei Inanspruchnahme von Leistungen der Kurzzeit- oder Verhinderungspflege soll das Pflegegeld hälftig weitergezahlt werden.
Verbesserung der rentenrechtlichen Berücksichtigung bei Pflege von gleichzeitig mehreren Pflegebedürftigen
Zur Würdigung der Belastung von Pflegepersonen, die gleichzeitig mehrere Pflegebedürftige pflegen, sollen zukünftig rentenrechtlich wirksame Pflegezeiten bei der Pflege von gleichzeitig zwei oder mehreren Pflegebedürftigen addiert werden, wenn bei diesen mindestens die Pflegestufe 1 anerkannt ist.
Stärkung neuer Wohn- und Betreuungsformen
Für die Förderung neuer Wohn- und Betreuungsformen sind folgende Maßnahmen vorgesehen:
Einsatz von einzelnen, selbständigen Kräften, insbesondere in Wohngruppen für demenziell erkrankte Pflegebedürftige.
Zahlung einer zusätzlichen, zweckgebundenen Pauschale bei der Beschäftigung einer Kraft, die für die Organisation und Sicherstellung der Pflege in der Wohngruppe sorgt.
Auflegung eines zeitlich befristeten Initiativprogramms zur Gründung ambulanter Wohngruppen.
Das Investitionsprogramm soll aus nicht zum Aufbau von Pflegestützpunkten abgerufenen finanziellen Mitteln finanziert werden.
Verbesserung der medizinischen Versorgung in Heimen
Zur Förderung der medizinischen Versorgung in Pflegeheimen sieht der Gesetzentwurf folgende Maßnahmen im SGB V und SGB XI vor:
Stringentere Fassung der Vorgabe, dass Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) auf Antrag eines Pflegeheims zur Sicherstellung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Bewohner/-innen Kooperationsverträge anzustreben haben: Die KVen sollen nunmehr vor Ort Kooperationsverträge vermitteln.
Gewährung von Zuschlägen bzw. einer zusätzlichen Vergütung für Ärzte und Zahnärzte für Hausbesuche bei Heimbewohnern bei Abschluss von Kooperationsverträgen.
Verpflichtung der vollstationären Pflegeeinrichtungen darüber zu informieren, wie sie die ärztliche, fachärztliche und zahnärztliche sowie die Arzneimittelversorgung der Bewohner/-innen sicherstellen. Diese Informationen sollen im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Qualitätsprüfungen (Transparenzberichte) veröffentlicht werden.
Verbesserung der Beteiligung von Betroffenen und Versicherten
Vorgesehen ist ein Ausbau der Beteiligung Betroffener: So soll bei der Erarbeitung oder Änderung diverser Richtlinien des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen sowie den Vereinbarungen der Selbstverwaltungspartner nach §§ 113ff SGB XI die maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe pflegebedürftiger und behinderter Menschen eine beratende Funktion eingeräumt werden. Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Voraussetzungen der Anerkennung der Organisationen festzulegen.
Stärkere Dienstleistungsorientierung bei der Begutachtung von Antragsteller/-innen auf Leistungen der Pflegeversicherung
Der Gesetzentwurf sieht folgende vier Maßnahmen vor:
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung wird zur Entwicklung und Veröffentlichung von Servicegrundsätzen sowie zur Einrichtung eines Beschwerdemanagements verpflichtet.
Wird bei einem Antrag zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit die Entscheidungsfrist nicht eingehalten, erhält der Versicherte ab diesem Zeitpunkt einen Betrag als nicht rückzahlbaren und nicht mit den späteren Leistungen zu verrechnenden Ausgleich.
Die Pflegekassen können neben dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung auch andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung beauftragen, ob Pflegebedürftigkeit vorliegt.
Pflegekassen beziehungsweise Pflegeberater/-innen haben die Versicherten im Rahmen der Beratung darüber zu informieren, dass sie einen Anspruch darauf haben, das Gutachten des Medizinischen Dienstes oder eines anderen von der Pflegekasse beauftragten Gutachters zu erhalten.
Verbesserung der Beratung und Koordinierung
Um eine möglichst frühzeitige Beratung der Antragsteller/-innen in der eigenen Häuslichkeit zu gewährleisten, haben die Pflegekassen einen konkreten Termin für eine umfassende Beratung unter Nennung eines Ansprechpartners innerhalb von zwei Wochen anzubieten. Können sie das nicht gewährleisten, ist ein Beratungsgutschein zu übermitteln, der es den Antragstellern/-innen ermöglicht, die Beratung durch eine andere qualifizierte Beratungsstelle innerhalb von zwei Wochen in Anspruch zu nehmen. Auf Wunsch der Versicherten hat die Beratung in der häuslichen Umgebung stattzufinden.
Zukunftssichere Finanzierung
Der Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung wird zur Finanzierung der verbesserten Leistungen für die demenziell erkrankten Pflegebedürftigen zum 01.01.2013 um 0,1 Beitragssatzpunkte angehoben.
Als weiterer Baustein soll die soziale Pflegeversicherung um eine aus Steuermitteln finanzierte zugriffsgeschützte private Pflegevorsorge ergänzt werden. Hierzu soll eine eigene gesetzliche Regelung vorgelegt werden.
Weitere Maßnahmen
Zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung und Betreuung werden im Gesetzentwurf über die o. b. Maßnahmen hinaus folgende nach Aussage des Gesetzgebers der Entbürokratisierung dienende Maßnahmen benannt:
Die Einkommensprüfung im Zusammenhang mit der Beantragung auf Gewährung wohnumfeldverbessernder Maßnahmen wird abgeschafft.
Die Rahmenfrist für die Anerkennung als verantwortliche Fachkraft wird einheitlich auf acht Jahre verlängert.
Die Voraussetzungen zum Abschluss eines Gesamtversorgungsvertrages werden durch eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs vereinfacht.
Die Verpflichtung zugelassener Pflegeeinrichtungen zur Zahlung der ortsüblichen Vergütung wird auf die Fälle begrenzt, in denen keine Mindestlohnregelung gilt.
Das Qualitätssicherungsrecht wird dahingehend modifiziert, dass Ausnahmen vom Grundsatz der unangemeldeten Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung für den ambulanten Bereich eingeführt werden. Ausnahmen können nach dem Gesetzentwurf nur organisatorisch begründet sein. Dies ist allerdings den Landesverbänden der Pflegekasse durch dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit dem Prüfbericht schriftlich mitzuteilen.
Es wird die Möglichkeit für Modellversuche zur besseren Verzahnung der Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und der Heimaufsicht eröffnet.
Wie sich bereits in den Eckpunkten im November abzeichnete, sind wohl keine Änderungen bezogen auf das Pflegebudget und bezogen auf die Leistungen für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung für Menschen mit Behinderung zu erwarten.
Weiterhin bleibt die Regierung Aussagen darüber schuldig, wie die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert werden könnte. Dazu gab es in den Eckpunkten vom November 2011 noch Ausführungen. Seinerzeit hat man u. a. darauf abgestellt, dass mit der angestrebten einheitlichen Berufsausbildung in der Krankenpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege der Beruf insgesamt attraktiver werden solle. Ein Vorschlag für die Reform der Berufsbildung war von der Regierung zuletzt für Ende 2011 angekündigt. Allerdings liegt bis heute nichts vor. Der Paritätische ist der Auffassung, dass die Ausbildung aus der Sozialversicherung zu finanzieren sei, wie dies in der Krankenpflegeausbildung schon heute üblich ist.
Die Erörterung des Referentenentwurfs findet auf Einladung des Bundesministeriums für Gesundheit am 13.02.2012 statt.