Burnout unter Pflegekräften nimmt zu. Spezielle Coachings helfen, mit den Belastungen umzugehen
Meistens geht es um Zeit. Oder viel mehr um den Mangel daran. „Ich hetze immer nur herum“, hört Brigitte Henschke oft, die als Coach für Pflegekräfte arbeitet. Oder: „Früher konnte man auch mal ein Gespräch mit den alten Leuten führen.“
Oder es geht darum, dass eine Minute sehr wenig Zeit ist, um einem pflegebedürftigen Menschen die Strümpfe an- oder auszuziehen. Eine Minute, das ist die offizielle Vorgabe, an die man sich halten muss, wenn man bei einem Pflegedienst arbeitet oder in einem Heim. Für fast alleTätigkeiten gibt es solche Vorgaben und sie wirken sehr eng kalkuliert. „Die Zeit für die Pflege wird immer knapper“, sagt Brigitte Henschke.
„Pflege ist schwere Arbeit für wenig Geld. Und viele Pflegekräfte haben das Gefühl, das sie nie richtig Zeit für den Dienst am Menschen haben.“
Brigitte Henschkes Aufgabe ist es, die Frustration auszugleichen, die dadurch bei Menschen entsteht, die in der Pflege arbeiten. Sie hat sich auf Coaching für diese Berufsgruppe spezialisiert. „Trainings“ nennt sie die Sitzungen bei ambulanten Pflegediensten und in Heimen. Gerade kommt sie von einem Teamtraining mit Mitarbeitern eines Pflegedienstes. Aber sie macht auch Coachings mit Pflegedienstleitern, einzeln oder in kleinen Gruppen.
„Coaching ist in der Pflege oft die Alternative zum Ausbrennen“, sagt Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbands (DPV). „Vor allem in der jetzigen angespannten Personalsituation und der engen Finanzierung.“ Dadurch komme es immer häufiger zu Konflikten, die anders nicht gelöst werden können. „Coaching als Fortbildung zur Stärkung der Persönlichkeit und Gruppenfähigkeit sollte sich durch den Lebenslauf jedes Mitarbeiters ziehen“, findet Höfert. Das diene auch der Patientensicherheit. Beauftragt wird Henschke meist von Pflegeunternehmen, etwa weil die Belegschaft reihenweise kündigt oder der Krankenstand sehr hoch ist. „Manchmal lautet der Auftrag, die Mitarbeiter zu coachen, aber es wäre eigentlich ebenso wichtig, die Kommunikationsfähigkeiten der Leitung zuschulen. Wenn die Stimmung zwischen beiden nicht stimmt, überträgt sich das auf die zu pflegenden Menschen.“
In der Ausbildung zur Pflegedienstleitung gehe es nur sehr kurz um Mitarbeiterführung, sagt Henschke. „Die Quote von unausgebildeten Kräften wird immer größer. Wenige professionelle Pflegekräfte tragen Verantwortung für das Handeln von kaum qualifizierten Untergebenen“, sagt Höfert vom Pflegeverband. „Viele von ihnen brauchen mehr Führung und sogar ein bisschen Erziehung“, erklärt Henschke. Und es gelte auch immer wieder, Konflikte zwischen den unqualifizierten jungen und den examinierten Mitarbeitern zu lösen, die seit 20 Jahren in der Pflege sind. Henschke spricht von einem „Konkurrenzkampf“. Viele Konflikte könnten die Vorgesetzten lösen, indem sie den Mitarbeitern zeigen, dass ihre Leistung anerkannt wird, sagt Henschke. Sie übt deshalb mit den Führungskräften, „ein offenes klares Wort zu reden, Fehler anzusprechen, Grenzen aufzuzeigen und zu loben.“ Kommunikationsfähigkeiten seien in der Pflege fast so wichtig wie etwa das richtige Lagern, um ein Wundliegen zu verhindern.
Gerade hat sie begonnen, ein Team zu coachen, in dem der Krankenstand bei weit über 50 Prozent liegt, vor allem wegen Überarbeitung. „Sie sollen unter anderem Atem- und Entspannungstechniken lernen, um damit zwischen den Klienten für zwei, drei Minuten runterzukommen, so dass sie den Frust nicht beim nächsten rauslassen“, sagt sie. „Solche Übungen werden immer erst ein bisschen belächelt. Aber nicht mehr, wenn ich es näher erkläre.“
Oft geht es auch um Konflikte mit den zu Pflegenden und ihren Angehörigen: Vor kurzem wurde Brigitte Henschke in ein Heim gerufen, in dem eine Bewohnerin und ihre Tochter die Pfleger regelrecht tyrannisieren: Die alte Frau klingele ständig nach dem Personal, etwa damit sie ein Blatt vom Gummibaum aufheben. Die Tochter beschwere sich, die Pfleger würden sich nicht genug kümmern. Brigitte Henschke hat mit den Pflegern überihre innere Haltung gesprochen. Sie sollen sich stets vorher bewusst machen, dass es nichts bringt, in das Zimmer der alten Dame zu gehen, wenn sie dabei denken: „Die schon wieder!“
Aggressionen würden Pflegekräfte selten zugeben. Manchmal aber hört Henschke von frustrierten Mitarbeitern bedenkliche Sätze: „Hier im Heim ändert sich sowieso nichts. Bei meiner Arbeit reiße ich mich zusammen. Aber wenn ich an der Kasse im Supermarkt einen alten Menschen treffen, würde ich ihm am liebsten mit dem Einkaufswagen in die Hacken fahren.“ Immer wieder trainiert Brigitte Henschke mit Pflegekräften, ihr Verhalten zu reflektieren: „Wie kommuniziere ich mit den Klienten, darum geht es vor allem,“ sagt Henschke. Später diskutiert sie mit ihnen etwa darüber, dass es wichtig ist, sich gegenseitig zu unterstützen und so Aufgaben schneller zu erledigen. So können sie zumindest etwas Zeit gewinnen. „Und es hilft, wenn ich mir bewusst mache: Ich schaffe das in der Zeit.“ So etwas nennt die Coachin „mentales Fitnesstraining“.
Brigitte Henschke hat sich vor acht Jahren darauf spezialisiert, Pflegende zu beraten. Vorher war sie 20 Jahre lang Geschäftsführerin einer Firma für Seil- und Krantechnik. Dann hat sie umgesattelt, Existenzgründer beraten und eine Coaching-Ausbildung gemacht, in der es aber nicht speziell um Pflegeberufe ging. Dahin kam sie durch die Praxis, zunächst gab sie Seminare, die Teil der Pflegedienstleitungsausbildung sind.
Man kann sich aber auch eigens zum Pflege- und Sozialcoach ausbilden lassen, etwa vom „Coachingbüro Sinn meets Management“. Mit der Fortbildung könne man entweder im Anschluss an die Ausbildung selbstständig als Coach in der Pflege oder in anderen Berufsfeldern tätig werden, sagt Psychologe Ümit Civan vom „Coachingbüro Sinn meets Management“. Er coacht in Pflegeeinrichtungen und bildet zum Pflegecoaches aus.
Andere Teilnehmer nutzten die Inhalte bei ihrer derzeitigen beruflichen Tätigkeit in einer Pflege- oder sozialen Einrichtung, etwa als Pflegedienstleitung oder Altenpfleger. Die Liste der Berufe und Positionen, die zur Zielgruppe gehören, ist lang. Die Ausbildung dauert ein Jahr und ist berufsbegleitend. Der nächste Kurs beginnt im Oktober. Die Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland. Blockseminare finden an mehreren Wochenenden in Münster und Würzburg statt. Dazwischen liegen Selbststudienzeiten, in denen man sich mit Lernpartnern telefonisch oder persönlich austauscht.
Höfert vom Pflegeverband plädiert dafür, dass möglichst viele Abteilungsleiter eine solche Weiterbildung machen sollten. „So wie jedes Krankenhaus einen Hygienebeauftragten haben sollte, müsste es pro Einrichtung mindestens einen entsprechend geschulten Mitarbeiter geben, der sich um eine humane Arbeitssituation kümmert. Ein wahrnehmungsstarkes Management kann Probleme früher erkennen und lösen.“ In akuten Krisensituationen könne es aber auch hilfreich sein, einen externen Coach hinzuzuziehen.