Dicke Bretter gebohrt

Im Express 09/2012 ist unter dem Titel Dicke Bretter gebohrt ein Interview mit einem Betriebsratsmitglied des Assistenzdienstes Club Behinderter und ihrer Freunde in Frankfurt und Umgebung e.V. (CeBeeF) zum Kampf um einen Tarifvertrag erschienen, den wir hier dokumentieren. Zu den Auseinandersetzungen und zum Streik beim CeBeeF siehe hier.

Das Interview als pdf-Datei: Dicke Bretter gebohrt

Dicke Bretter gebohrt – Organizing für Tarifvertrag – ein Interview

Arbeit in der persönlichen Behindertenassistenz ist einerseits geprägt von der Motivation, die Verwirklichung der Autonomie- und Selbstverwirklichungsansprüche von Behinderten zu unterstützen, findet andererseits aber unter prekären, bislang tariflosen Bedingungen statt. Auch ›reguläre‹ Pflegeunternehmen nutzen die AssistentInnen zunehmend als billigen Ersatz für PflegehelferInnen. Seit 2008 gibt es das Netzwerk »Unabhängiger Arbeitnehmervertretungen in der Persönlichen Assistenz« (UAPA), das für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eintritt (u.a. mit dem »Scheiß-Streik«, s. express 1/2009 und 12/2009). Der im UAPA organisierten Interessenvertretung vom »Club Behinderter und ihrer Freunde in Frankfurt und Umgebung e.V.« (CeBeef) ist jetzt die Durchsetzung eines Tarifvertrages für die meisten der etwa 530 Beschäftigten in Assistenz, Pflege, Schulbegleitung und Fahrdienst gelungen. Slave Cubela, Organizer bei der IG Metall, sprach mit einem Mitglied der Betriebsratsliste GOHN (Gerechter Lohn).

Slave Cubela: Ihr habt im Dezember 2011 nach knapp zwei Jahren innerbetrieblicher Mobilisierung einen Tarifvertrag beim Club Behinderter und ihrer Freunde e.V. erkämpft. Könntest Du uns kurz die Ausgangslage zu Beginn eurer Aktivitäten skizzieren?

Seit 2000 bekommen die meisten 9,31 Euro/Stunde brutto. Jedes Jahr verlassen über 100 KollegInnen den Betrieb, viele davon innerhalb der ersten Monate. Deshalb sieht es für die Geschäftsführung wohl so aus, als ob sich viele Probleme von selbst lösen, wenn man sie lange genug aussitzt. Dem entsprach 2009 eine Stimmung bei vielen KollegInnen, dass sich im CeBeeF nie etwas ändert. Der Betriebsrat war durch interne Streitigkeiten gelähmt. Die Gewerkschaft hatte ca. 35 Mitglieder und war im Betrieb nicht wahrnehmbar.

Die allermeisten der rund 500 Beschäftigten arbeiten allein. Die ca. 200 KollegInnen in der Persönlichen Assistenz und die ca. 180 in der Schulbegleitung haben im Arbeitsablauf kaum Gelegenheit, miteinander zu sprechen, und dann fast nur in der von Vorgesetzten geleiteten Teambesprechung. Sie haben eher mit den Menschen zu tun, für die sie Assistenz leisten, als mit dem Betrieb oder mit ihren KollegInnen. Trotzdem hatten sich zarte Pflänzchen der Organisierung entwickelt: Die Beteiligung an der Betriebsversammlung war auf ca. 40 KollegInnen angestiegen und es gab eine kleine Gruppe, die begonnen hatte, eine Lohnerhöhung zu fordern (die »Lohn-AG«).

Warum habt Ihr Euch trotz der schwierigen Ausgangslage nicht entmutigen lassen, immerhin bildete nur eine Handvoll Leute das »Anfangsteam«?

Dass ein Tarifvertrag erreichbar ist, hat der Betriebsrat am Anfang selbst nicht geglaubt. Deshalb war die Lohn-AG eine Art Test: Sind KollegInnen außerhalb des Betriebsrats bereit, die Sache anzugehen? Wir brauchten eine Weile, um uns genug Mut zuzusprechen. Dann haben wir die Lohnfrage in den Betriebsratswahlkampf gebracht und damit eine deutliche Mehrheit gewonnen. Für uns hieß das: Jetzt wollen wir’s wissen! Danach hat es uns immer wieder Mut gemacht zu sehen, dass mehr und mehr KollegInnen selbst ihre Sache in die Hand nehmen.

Wenn Du jetzt zurückschaust, was waren die wesentlichen Etappen bzw. Aktivitäten, mit denen es Euch gelang, Eure Belegschaft für das Ziel Tarifvertrag zu mobilisieren?

Der erste direkte Schritt war die erwähnte »Lohn-AG«, eine kleine, im Herbst 2008 gestartete Arbeitsgruppe außerhalb des Betriebsrats, die sich über die Arbeit ausgetauscht, ein paar Aktionen und Flugblätter gemacht und sich informiert hat. In dieser Gruppe haben sich die ersten Aktiven »geschult«. Im Januar 2010 (kurz nach der Betriebsratswahl) riefen wir alle KollegInnen an und luden sie ein, ins Betriebsratsbüro zu kommen, um an einer Unterschriftensammlung für mehr Lohn teilzunehmen und mit uns darüber zu sprechen. Dazu war das Büro eine Woche lang von früh bis spät besetzt. Es kamen ca. 100 in einer Woche von Schneestürmen und S-Bahn-Streiks. Das war eine Beteiligung, wie wir sie vorher nie gesehen hatten. Über 250 nahmen an der Unterschriftensammlung teil. Gleichzeitig legte die Geschäftsführung ihren Entwurf für ein neues Lohnsystem vor. Der sah neben kleinen Verbesserungen eine Reihe von Verschlechterungen vor.

Das waren erste Erfahrungen mit gemeinsamem Handeln. Dazu kam die Wut über diesen Entwurf der Geschäftsführung nach all den Jahren des Lohnverzichts. So hat die Lohn-Kampagne endlich richtig gezündet. Die ver.di-Mitgliederzahl hat sich dann schnell verdoppelt und schließlich versechsfacht. Die »normale« Betriebsratsarbeit saß die Geschäftsführung jedoch ebenso aus wie die Mobilisierung mit der immer lauter werdenden Lohnforderung. Das brachte uns dazu, die Strategie zu ändern: Der Betriebsrat konzentrierte sich darauf, die Selbstaktivität und Selbstermächtigung der Belegschaft zu fördern. Die Geschäftsführung reagierte im September mit einem Drohbrief, in dem allen KollegInnen unter Ankündigung arbeits- und strafrechtlicher Konsequenzen alles Mögliche verboten wurde, insbesondere, im beruflichen Umfeld oder sonstwie öffentlich um Unterstützung in der Lohnfrage zu werben, und mit dem Versuch, eine Kollegin politisch motiviert abzumahnen. Das konterten die KollegInnen damit, dass sie beim Anhörungsgespräch zu der Abmahnung zu vierzehnt auf der Matte standen. Das Gespräch fand auf dem Flur statt und die Geschäftsführung musste sich für den Drohbrief und den Abmahnungsversuch rechtfertigen.

Gleichzeitig haben wir zu einer ganztägigen Betriebsversammlung im November aufgerufen. Solche Versammlungen wirken sich aufgrund der Betriebsstruktur stark auf die Erfüllung der Aufgaben des CeBeeF aus und werden von den oberen Hierarchieebenen und vielen Eltern und LehrerInnen als Arbeitskampf wahrgenommen. Entsprechend groß waren die Widerstände und die Hemmschwelle, daran teilzunehmen. 150 KollegInnen nahmen an der Versammlung teil. Daraufhin trat die Geschäftsführung endlich in Sondierungsgespräche mit ver.di über einen Tarifvertrag ein.

Nach fast einem Jahr Verhandlungen kam es unter dem Druck einer Streikdrohung im Oktober 2011 zu einer Einigung über die Eingruppierung, die schwierigste Streitfrage der Tarifverhandlungen. Im Dezember 2011 einigten sich die Verhandlungsdelegationen auf den Tarifvertrag. Die Geschäftsführung bekam noch mal ein halbes Jahr mehr Zeit, um mit den Kostenträgern zur Refinanzierung des Tarifentgelts höhere Vergütungssätze zu verhandeln, außerdem eine Erklärungsfrist bis zum 31. März, in der sie sich noch nicht auf den Tarifvertrag festlegen musste.

Nach Ablauf der Frist erklärte die Geschäftsführung, dass sie den Tarifvertrag doch erstmal nicht unterzeichnet. Darauf antwortete die CeBeeF-Belegschaft dann mit einem Streik. Mit drei Warnstreiktagen, einer zweitägigen Betriebsversammlung und zahlreichen Aktionen machten die KollegInnen klar, dass sie sich nicht länger mit Billiglohn abspeisen lassen. Daraufhin teilte die Frankfurter Sozialdezernentin Birkenfeld (CDU) in der FAZ mit, die CeBeeF-Geschäftsführung habe nun endlich »die nötigen Dokumente« vorgelegt und nun stünde eine zügige Einigung zwischen dem CeBeeF und seinem wichtigsten Kostenträger in Aussicht. Am 31. Mai erklärten Geschäftsführung und Vorstand des CeBeeF die Annahme des Tarifvertrags.

Welche Rolle hat ver.di bei all dem gespielt? Ich weiß, dass die Zusammenarbeit vor dem Jahr 2009 mit der damaligen Gewerkschaftssekretärin eher schwierig war.

Die bis 2009 zuständige Gewerkschaftssekretärin hat gesagt, dass ver.di uns nicht in Tarifverhandlungen vertritt, wenn nicht mindestens 40 oder 50 Prozent im Betrieb Mitglied sind. Wir hatten schon 2004/5 versucht, einfach mit der Forderung nach einem Tarifvertrag Mitglieder zu werben, aber das hat nicht geklappt. Niemand konnte sich vorstellen, dass der Organisationsgrad von sieben auf 50 Prozent steigt, wenn doch außer dem Betriebsrat kein Mensch im Betrieb »was tut«.

Wir hatten uns darauf eingerichtet, bei ver.di dicke Bretter zu bohren. Passiert ist genau das Gegenteil. Andreas Heymann, der Sekretär, der für die Betriebsbetreuung bei uns ab Ende 2009 zuständig war, hat dem Betriebsrat im Februar 2010 gesagt, er würde die Sache gerne angehen, wenn sie eine Chance hat. Als die Tarifbewegung in Schwung kam, bekamen wir dann von ihm grünes Licht für Tarifverhandlungen, obwohl der Organisationsgrad noch weit unter 40 Prozent lag. Er hat uns mit vielen Ideen und organisatorischer Arbeit unterstützt, stand nie auf der Bremse und hat unsere für den ver.di-Tarifpartner Stadt Frankfurt unbequemen Aktivitäten den anderen Hauptamtlichen bei ver.di und dem DGB vermittelt. Genauso zufrieden sind wir mit Jens Ahäuser vom Landesbezirk, der die Tarifverhandlungen geführt hat. Er hat sich mit großem Verhandlungsgeschick und sehr engagiert auf die schwierige Aufgabe eingelassen, eine akzeptable Eingruppierung für zwei ungeregelte Berufe ohne geregelten Ausbildungsweg auszuhandeln. Beide haben sich durch strategische Klugheit ausgezeichnet und immer auf Argumente gehört. Sie waren bereit, unter schwierigen Bedingungen in die Offensive zu gehen. ver.di hat uns machen lassen und uns darüber hinaus sehr gut unterstützt.

Ihr erhaltet den überwiegenden Teil des Geldes für Eure in der Behindertenhilfe erbrachten Leistungen von der Kommune. Nun gelten in vielen Kommunen Tarifverträge aber als zu teuer. Hat sich die Stadt Frankfurt am Main nicht gegen die Re-Finanzierung eures Tarifvertrag gewehrt?

Das hat sie, aber auf raffinierte arbeitsteilige Weise. Die Stadtpolitik sagt: »Wir wollen, dass Tariflöhne bezahlt werden, und wir finanzieren die Auftragnehmer so, dass sie das können. Wenden Sie sich an die Geschäftsführung ihres Betriebs. Wenn das zu nichts führt, wenden Sie sich an die zuständige Gewerkschaft und setzen Sie einen Tarifvertrag durch, mit Arbeitskampf, wenn es nicht anders geht.« Das hört sich gut an. Aber gleichzeitig setzt das Sozialamt die Geschäftsführungen unter Druck, billige Preise zu machen. So lange sie das tun – in aller Regel durch Lohndumping – gilt das Prinzip »leben und leben lassen«, das heißt, es wird nicht genau oder gar nicht geprüft und es gibt immer wieder pauschale prozentuale Erhöhungen der an die Vereine bezahlten Entgelte.

Wenn eine Geschäftsführung Tariflohn zahlen will bzw. muss, wird es teurer für die Stadt. Dann verlangt das Sozialamt, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Betriebsführung eine genaue Kalkulation vorgelegt wird und kündigt an, diese ganz genau zu prüfen und den Betrieb ganz genau zu durchleuchten. Damit und mit dem Spardruck der Stadt sind die Geschäftsführungen der meisten sozialen Vereine professionell schlicht überfordert. Das wissen auch die SozialpolitikerInnen der Stadt. So delegieren sie das Lohndumping geschickt an die Geschäftsführungen der Auftragnehmer. Die wehren ihrerseits Lohnforderungen mit dem Argument ab, die Stadt zahle nun mal auf keinen Fall mehr.

Im April 2011 hatte der Betriebsrat mit anderen Betriebsräten sozialer Dienste das »Frankfurter Netzwerk der sozialen Arbeit« gebildet, das Tarifverträge, Tariftreue und Wirtschaftsausschüsse fordert. Mit dem Netzwerk gemeinsam organisierten wir eine Kundgebung mit dem Motto »Tariflohn für soziale Arbeit – Kein Lohndumping mit öffentlichen Mitteln« im September 2011, an der sich mehrere Hundert KollegInnen beteiligten, mehr als die Hälfte davon vom CeBeeF. Außerdem nervte die CeBeeF-Belegschaft in zahlreichen Aktionen den schwarz-grünen Magistrat. Schließlich erreichte das Netzwerk einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung am 1. März, der regelt, dass die Stadt Tariflöhne bei ihren Auftragnehmern akzeptiert.

Unter dem Druck des Streiks haben sich CeBeeF-Geschäftsführung und Sozialdezernat auf deutliche Erhöhungen der Vergütungssätze für Assistenz, Pflege und Schulbegleitung geeinigt. Diese reichen aber laut Aussage der Geschäftsführung nicht einmal für die vereinbarte Überleitung mit 90 Prozent des Tarifentgelts aus. Das wichtigste Argument der Stadt dabei ist, dass es andere, Tariflohn zahlende Träger gibt, die aufgrund niedrigerer Eingruppierungen mit dem Geld auskommen, das der CeBeeF jetzt bekommen soll. Diese Träger haben aber auf Kosten ihrer Beschäftigten getrickst, unter anderem weil der CeBeeF sie mit seinem Lohndumping unter Druck gesetzt hat. Nach Meinung des Sozialamts soll der CeBeeF also weiter Dumpinglohn zahlen, weil er bisher Dumpinglohn zahlt.

Mit Blick auf das Ergebnis: Seid Ihr zufrieden oder habt Ihr das Gefühl, dass mehr drin gewesen wäre?

Wir sind insofern nicht zufrieden, als die Geschäftsführung in eine neue Runde des Aussitzens gegangen ist. Wir bekommen den Tariflohn noch nicht. Die CeBeeF-Leitung hat den Tarifvertrag unterschrieben, um den Streik zu beenden, scheut aber nach wie vor die Auseinandersetzung mit der Stadt.

Der Tarifvertrag ist am 1. Juli in Kraft getreten, aber die Geschäftsführung weigert sich, ihn umzusetzen. Noch hat niemand von uns das Geld bekommen. Viele KollegInnen klagen ihr Tarifentgelt jetzt ein. Die Geschäftsführung kümmert sich nicht darum, die Finanzierung zu verbessern und hat für den Fahrdienst noch nicht einmal Verhandlungen aufgenommen. Sie fordert eine Absenkung des Lohns auf ca. 70 Prozent des Tarifniveaus durch einen »Notlagentarifvertrag« und droht, den Fahrdienst in die Insolvenz zu bringen, und den Beschäftigten, von denen viele ohnehin am Existenzminimum leben, Entgeltbestandteile zu streichen, während sie den Tariflohn weiter nicht auszahlt.

Mit dem Tarifvertrag selbst sind wir zufrieden. Er bedeutet eine starke Verbesserung des Lohnniveaus, besonders für die KollegInnen mit längerer Betriebszugehörigkeit. Außerdem sind wir sehr froh darüber, überhaupt in den Tarifvertrag einzusteigen, weil wir an Tarifrunden beteiligt werden und in Zukunft nicht mehr allein dastehen.

Der Tarifvertrag regelt zwar eine zu niedrige Eingruppierung für BehindertenassistentInnen und SchulbegleiterInnen, aber eine Eingruppierung als FacharbeiterInnen. Das ist ein symbolisch wichtiger Fortschritt, denn vorher gab es für diese Berufe weder einen geregelten Ausbildungsweg noch eine tariflich geregelte Eingruppierung.

Aber das kann nur ein erster Schritt sein. Die Arbeit in der Persönlichen Behindertenassistenz und in der Schulbegleitung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im Lohnsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst wird mit diesen Eingruppierungen noch nicht annähernd angemessen bezahlt. Außerdem kritisieren viele KollegInnen die Überleitung (in den ersten zwei Jahren nur 90 Prozent des TVöD-Lohnniveaus).

Ihr habt mit anderen Betrieben 2008 ein bundesweites Betriebsrätenetzwerk in der Behindertenhilfe (UAPA) gegründet. Inwiefern war dieses Netzwerk wichtig für Eure Tarifbewegung? Und lassen sich anderswo ähnliche Prozesse wie in Frankfurt erwarten?

UAPA war und ist für uns enorm wichtig. Der Blick über den Tellerrand, zu sehen, wie vieles in den anderen Betrieben im Prinzip gleich ist, die Solidarität der KollegInnen zu spüren und zu wissen, dass wir in den verschiedenen Städten für dieselbe Sache kämpfen, das hilft. Unsere KollegInnen haben uns vielfältige praktische Unterstützung gegeben. Einige Aktive hat es zusätzlich motiviert, sich für unseren Tarifvertrag zu engagieren, wenn sie mitbekommen haben, wie die KollegInnen in anderen Städten mit uns mitfiebern.

Und ja, der Tarifzug rollt bei UAPA. Bei der »Assistenzgenossenschaft« (AG) Bremen und der »Hamburger Assistenzgenossenschaft« (HAG) gibt es inzwischen Tarifverhandlungen. Bei der Eingruppierungsfrage müssen trotz der (symbolisch) vorbildhaften FacharbeiterInnen-Eingruppierung beim CeBeeF hier wie dort jedoch immer noch dicke Bretter gebohrt werden.

Die Independent-Living-Bewegung, aus der die Assistenzdienste hervorgegangen sind, wollte, dass BehindertenassistentInnen keine (medizinischen) Fachkräfte sind, die sie verwalten und bevormunden. Das hat sie in dem Slogan zugespitzt, dass die AssistentInnen »die Arme und Beine« der Menschen mit Behinderungen sein sollen. Tatsächlich führen gerade unzulängliche Qualifikation und Überforderung der AssistentInnen mit den psychosozialen Aufgaben zu Bevormundung und Ausgrenzung der AssistenznehmerInnen. Es handelt sich um pflegerisch und sozialarbeiterisch anspruchsvolle Tätigkeiten. Aber bei Konflikten um die Eingruppierung geistert die überkommene Vorstellung von den »Laienkräften« immer noch durch die Debatte und wird benutzt, um die Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen billiger zu machen.

Bei »Ambulante Dienste« (AD) und »lebenswege« in Berlin haben sich KollegInnen aus der ver.di-Betriebsgruppe und aus dem Betriebsrat für Lohnerhöhungen eingesetzt und für ihre Betriebe eine deutlich bessere Refinanzierung durchgesetzt – leider ohne Tarifvertrag. In verschiedenen anderen Städten bringen die Beschäftigten ebenfalls Bewegung in die Frage des Lohns für die persönliche Assistenz.

Gibt es so etwas wie Lernerfahrungen, die Du auch mit Blick auf andere Betriebe/Betriebsräte hervorheben würdest?

Wir haben viel Zeit und Energie damit verbraucht, nicht konsequent genug Prioritäten zu setzen. Wir haben daraus gelernt, dass wir uns auf das konzentrieren sollten, was nicht nur die Zustimmung der Belegschaft hat, sondern wofür sich KollegInnen selbst einsetzen. Wir haben zu weitgehend die Verantwortung für das Gelingen von Belegschafts- und Gewerkschaftsaktionen übernommen und sind sie später nicht mehr losgeworden. Dadurch war es schwieriger, aus der Falle der Stellvertreterpolitik rauszukommen und die Verantwortung an die Aktiven weiterzugeben, die es können oder lernen können.

Vielleicht am wichtigsten: Wir haben viele Beschäftigte und die Belegschaft insgesamt weit unterschätzt. Bei jedem Schritt der Mobilisierung wurden wir wieder davon überrascht, zu welchen Entwicklungen KollegInnen fähig waren oder was sie auf einmal abrufen konnten, als sie Chancen sahen und Raum bekamen. In einem Satz: Gebt Eurer Belegschaft eine Chance!

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 9/12 – express im Netz unter: www.express-afp.info, www.labournet.de/express

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