Streik bei Schietwetter

Keine Lohnerhöhung in drei Jahren. Beschäftigte der Hamburger Pflegekette »pflegen und ­wohnen« kämpfen für einen Tarifvertrag

Es ist stockfinster und naßkalt. Zwischen sechs und acht Uhr morgens stehen am Montag über dreißig Altenpflegerinnen und -pfleger am Streikposten. Bei Hamburger Schietwetter halten sie eine kleine Kundgebung vor dem Wohnheim Alsterberg im Norden der Hansestadt ab.

Sie wollen einen Tarifvertrag mit dem privatisierten Unternehmen »pflegen und wohnen« durchsetzen. Im November hatten dessen Eigentümer ein fertiges Abkommen der Gewerkschaft ver.di mit der Geschäftsführung plötzlich wieder vom Tisch genommen. Nun sind die Beschäftigten im Erzwingungsstreik. Sie wollen ihre Arbeit so lange niederlegen, bis es einen Tarifvertrag gibt.

Streik bei Schietwetter

Über den Grund für den Rückzug kann man bei ver.di nur spekulieren. Vermutlich seien es ideologische Gründe, vermutet ver.di-Sekretär Norbert Proske. Die Eigner lehnten Tarifverträge grundsätzlich ab. Diese Interpretation hat die Gewerkschaft zumindest in der Öffentlichkeit verbreitet. Immer wieder hätten die Eigentümer zudem versucht, mit den Betriebsräten Gehaltsabkommen zu schließen, um einen Tarifvertrag zu umgehen. Das sei gesetzwidrig, erklärt Proske seinen Mitgliedern vor der Hauptzufahrt. Außerdem ließen sich Gewerkschaft und Betriebsrat nicht dividieren.

Auch Betriebsratschef Rolf in der Stroth beklagt einen »ideologischen Krieg«. Die Antwort der Beschäftigten laute: »so nicht«. Die Angestellten bräuchten nun einen langen Atem, denn die »pflegen und wohnen«-Eigner wollten den Streit aussitzen, sagt er im Gespräch mit junge Welt. Zwischenzeitlich kommt die Direktorin des Heims Alsterberg an den Eingang und mahnt an, daß die Träger von ver.di-Streikwesten das Firmengelände nicht betreten sollen. Auch sie spricht von Krieg. Der örtliche Personalchef schaut ebenfalls kurz vorbei. Ihre Mienen wirken betreten, auf Krawall sind die beiden jedenfalls nicht gebürstet.

Die Pflegekräfte dagegen haben die Nase voll. Seit 2009 hat es nach Gewerkschaftsangaben keine Lohnerhöhungen mehr gegeben, diesen tariflosen Zustand wollen die Angestellten nicht länger hinnehmen. Im Herbst gab es mehrere Warnstreiks. Doch die Beteiligung war verhalten. Laut ver.di nahm gerade mal ein Zehntel der 1 600 Beschäftigten in 13 Hamburger Pflegeheimen an Protestaktionen teil. Nun wachse die Streikfront aber, ist sich Gewerkschafter Proske sicher.

Tatsächlich sind Arbeitskämpfe in Pflegeberufen eine Seltenheit. Eine Streikende begründet das mitten im Nieselregen mit dem »Helfer-Syndrom«. Um die Alten oder Kranken nicht im Stich zu lassen, legten viele Pflegerinnen und Pfleger nie die Arbeit nieder. Weil die Beschäftigten von »pflegen und wohnen« aber seit Jahren von der Gehaltsentwicklung der Branche abgekoppelt sind, bricht sich der Unmut nun Bahn. 98 Prozent der ver.di-Mitglieder stimmten im Dezember für einen Ausstand. »Wir lernen das Streiken jetzt eben im Gehen«, sagt die Frau mit fester Stimme.

Mit ihrem Erzwingungsstreik setzen die Pflegekräfte alles auf eine Karte. Weniger als die Hälfte der Angestellten von »pflegen und wohnen« sind in der Gewerkschaft organisiert, ist zu vernehmen. Angeblich wurden am Standort Alsterberg bereits Leiharbeiter gesichtet. Ständig fahren Autos aufs Gelände – trotz Streikposten. Ver.di-Mann Proske behauptet, die meisten seien Lieferanten, bis auf einen vereinbarten Notdienst werde der Streik weitestgehend eingehalten. Die Notversorgung werde von so vielen Pflegerinnen und Pflegern geleistet wie zu einer regulären Wochenendschicht, betont Betriebsratschef in der Stroth.

Der Ausstand ist bis zum Monats­ende durchgeplant. Die Arbeitsniederlegungen rotieren unter den 13 Heimen, einmal wöchentlich werden alle Einrichtungen gleichzeitig bestreikt. Die Pflegerinnen und Pfleger wollen außerdem den Eigentümern auf die Pelle rücken. So planen sie, in den kommenden Tagen vor dem Büro des Hamburger Anteilseigners Andreas Franke am mondänen Goldbekplatz zu demonstrieren. Für eine Stellungnahme war die Geschäftsleitung von »pflegen und wohnen« gestern nicht zu erreichen.

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