Kommen jetzt die Blechmänner?

Pflegenotstand in Japan – Roboter sind die Lösung für die Zukunft

Keine Bevölkerung in der Welt vergreist schneller als die japanische. Das führt schon heute zu enormen Problemen im Pflegebereich. Zum Glück sind die Japaner technikbegeistert: Roboter sollen in Krankenhäusern und Altenheimen aushelfen. Der Staat subventioniert ihre Entwicklung. Auch Länder wie Deutschland gelten als mögliche Abnehmer.

Der Patient erhebt sich ganz vorsichtig, ja ungläubig aus seinem Rollstuhl. Von den Hüften abwärts umklammern weiße Schienen seine Beine.

Unter dem Beifall des Pflegepersonals stapft der Mann durch den Raum, maschinell unterstützt von leise jaulenden Elektromotoren, die seine Gliedmaßen wie von Zauberhand bewegen.

Immer und immer wieder flimmert das Video über die Flachbildschirme in einem Einkaufszentrum vor den Toren von Tokio, zum Schluss wird ein Name eingeblendet: „Cyberdyne“. Das ist die Firma, die den Roboter-Anzug herstellt, der Lahme wieder gehen lassen soll und die Kraft von Normalsterblichen ins Übermenschliche potenzieren.

Pflegenotstand in Japan

Wie in Deutschland – nur schlimmer

Das Modell HAL-5 ist die neueste Version eines „Exo-Skeletts“, auf dem große Hoffnungen ruhen. Das futuristische Gerät soll schon bald helfen, Japans immense Pflegeprobleme zu lösen.

Dahinter steckt eine dramatische Entwicklung: Keine Gesellschaft vergreist so schnell wie die japanische. Keine hat eine so geringe Geburtenrate. Japan hat die selben demografischen Probleme wie Deutschland, nur noch viel schlimmer. In 20 Jahren wird beinahe jeder dritte Japaner über 65 Jahre alt sein, und schon heute wird händeringend nach Pflegepersonal gesucht.

Weil die Stimmung in der Bevölkerung traditionell ablehnend gegenüber Zuwanderung ist, lässt die Regierung ausländische Hilfskräfte bisher nur sehr zögerlich ins Land. Stattdessen setzt man lieber auf Technik made in Japan. Bis 2020 könnten Roboter nach Schätzungen 970000 Pflegekräfte ersetzen.

„Die Zeit ist reif“

Der HAL-5 gehört dazu. Sein Schöpfer, Yoshiyuki Sankai, blinzelt durch eine große Brille mit halb getönten Gläsern. Schon als Schüler hat der 62-Jährige mit der wallenden Mähne an Robotern gebastelt.

„Das ist aber wirklich sehr lange her“, lächelt er. Jetzt steht er in einem improvisierten Showroom. In einer Ecke geht es zu wie im Sanitätshaus, stehen Rollstühle und hängen Krücken. Aber gegenüber, da wo das Lautsprecher-Geplärre aus dem Einkaufszentrum durch die Glastür dringt, da stehen seine Hightech-Gerippe.

Vor fast 20 Jahren begann Sankai mit der Entwicklung der anschnallbaren Wunder aus Stahl, hochfestem Aluminium und bärenstarken Elektromotoren. Jetzt, so glaubt er, „ist ihre Zeit reif“. In mehr als 50 Krankenhäusern und Pflegeheimen, in Japan, Europa und den USA, würden seine Roboter bereits erprobt.

Auch vom Militär kamen Anfragen

Auch nach Deutschland hat Sankai Kontakte geknüpft. „Es geht dabei um klinische Tests“, präzisiert Sankai, der als Professor an der Tsukuba-Universität forscht, einer der wichtigsten japanischen Brutstätten für Zukunftstechnologien. Hier gelang auch die Entwicklung der Haut-Sensoren, die die Befehle des Gehirns an die Muskeln erahnen und in Millisekunden an das Exoskelett weiterleiten.

Die umgeschnallten Schienen können entweder als Ganzkörperanzug getragen werden, oder auch als Einzelmodul nur bestimmte Körperteile unterstützen.

Bei einigen spektakulären Demonstrationen hat Sankai inzwischen die Tauglichkeit seiner Erfindung vorgeführt. In einem HAL-Anzug gelang es etwa einem Bergsteiger, seinen Freund Huckepack auf einen Schweizer Gipfel zu tragen.

Für eine breite Einführung der HAL-Anzüge fehlt jedoch noch die Zulassung, und die Geräte sind auch noch zu teuer. Bisher vermietet sie Cyberdyne nur, für umgerechnet rund 1500 Euro im Monat. Aber die Phase der kommerziellen Nutzung, für die der Professor die Firma Cyberdyne gegründet hat, steht nach seiner Überzeugung „unmittelbar bevor“. Sankai verhandelt mit Gesundheitsministerien und Klinikkonzernen. Interessierte Anfragen aus Militärkreisen nach seinen Anzügen, die Soldaten dazu befähigen könnten, schwere Ausrüstung, Munition und Waffen durch schwieriges Terrain zu schleppen, hat er dagegen höflich abgelehnt. „Ich bin ein japanischer Wissenschaftler“, lächelt er, „das heißt, ich bin Pazifist“.

Patienten lieben die Kuschelroboter

Die Entwicklung von HAL war nur möglich, weil sie vom japanischen Staat massiv gefördert wurde. 500 Millionen Yen sind an Cyberdyne geflossen, rund 4,5 Millionen Euro. Kein Einzelfall: Ein kleines Fellbündel mit großen, schwarzen Kulleraugen war der Regierung sogar noch mehr Geld wert. Mit knapp acht Millionen Euro wurden die Arbeiten an einem Kuschel-Roboter namens „Paro“ subventioniert, der in der Gestalt einer knuddeligen Baby-Robbe daherkommt.

Das im staatlichen Forschungsinstitut AIST entwickelte Kunsttier reagiert auf menschliche Laute und Berührung, kann sich tollpatschig bewegen und niedlich fiepen. Mehr als 1000 Paros sind bereits in japanischen Altersheimen im Einsatz. Der Baby-Charme der kleinen Robbe löst Emotionen aus, bringt Unterhaltungen in Gang, wo sonst häufig nur Trübsinn herrscht. Das Pflegepersonal ist ganz begeistert von den Kuschelrobotern. „Sie können vielen alten Menschen aus ihrer Einsamkeit helfen“, sagt ihr Erfinder, Takanori Shibata.

Längst hat Japans Industrie das Potenzial des entstehenden Marktes für Pflege- und Therapie-Roboter gewittert. Da wird an Maschinen gearbeitet, die Menschen aufheben, sie tragen und sogar waschen können. Der Elektronikkonzern Panasonic testet ein Roboterbett, das sich sprachgesteuert in einen elektrischen Rollstuhl verwandeln kann, und der Autokonzern Toyota entwickelt gemeinsam mit einem Forschungsinstitut sogar eine Gehirnsteuerung für Rollstühle. „Die menschliche Rasse entwickelt sich weiter“, schwärmt Pionier Yoshiyuki Sankai, „und zwar nicht biologisch, sondern technisch“.

Es braucht ein menschliches Design

Möglich wird das alles durch die überaus positive Haltung der Japaner gegenüber Robotern. Die in Europa verbreitete Angst, der Mensch könne eines Tages von den Maschinen beherrscht werden, „gibt es bei uns gottlob nicht“, sagt Sankai. In einem Land, in dem selbst Toilettenschüsseln gerne mit Sitzheizung, diversen Waschprogrammen, Gesäßtrockner und Musikbeschallung ausgerüstet werden, haben auch ältere Menschen kaum Scheu vor neuer Technik. Und die Ingenieure geben sich alle Mühe, den Robotern jeden Anschein der Bedrohlichkeit zu nehmen. „Ein ansprechendes Design ist sehr wichtig“, sagt Sankai.

Allerdings: Von der Vision einer vollkommen mechanisierten Altenpflege mussten sich die Japaner trotz aller Technikbegeisterung erst einmal verabschieden. Als vor acht Jahren bei Osaka ein Hightech-Altersheim mit allen Schikanen eröffnet wurde, revoltierten die Senioren. Statt nach elektronisch gesteuerter Rund-um-die Uhr-Betreuung verlangten sie nach menschlicher Zuwendung. Das Haus musste umkonzipiert werden.

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