Update Charité: Wut und Tränen

Der Streik an der Berliner Charité ist nach knapp einer Woche vorerst beendet. Nach einem neuen Angebots des Unternehmens blies die Gewerkschaft den Ausstand am Freitagmittag an allen drei Standorten zunächst ab. Der Offerte zufolge soll es binnen des nächsten Jahres für alle Gehaltsgruppen 200 Euro mehr geben, 150 Euro davon würden schon ab Juli gezahlt.

Die Gewerkschaften hatten 300 Euro gefordert, für das Pflegepersonal und die Servicekräfte ging es aber mehr noch um die Qualität der Arbeit, um neue Stelle und bessere Bedingungen. Die Mitarbeiter, heißt es nun bei der Gewerkschaft, hätten sich in einer basisdemokratischen Abstimmung eindeutig für die Aufnahme von Verhandlungen ausgesprochen. Das sehen Beschäftigte vor Ort allerdings anders. Fünfter Bericht eines (nun nicht mehr) streikenden Kollegen:

Wut_und_Tränen

Oh man, wie dumm und naiv wir immer noch sind. Obwohl wir nun schon einige Erfahrungen mit den Herrschaften im Zwirn und den Chefs mit den Plastiktüten “Streik” haben. Man hätte es wissen müssen, dass die Verdi-Funktionäre so etwas wie Vollversammlungen an den drei Campis nur einberufen, wenn es darum geht, den Streik zu beenden. Ach nein, es heißt ja jetzt: pausieren. Und das auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem sich abzeichnete, dass trotz aller Probleme auch in der kommenden Woche massiv Betten bestreikt werden können und die Zahl der angemeldeten Bettensperrungen weiter gestiegen wäre. Wir hätten den Druck steigern können. Die „Arbeitnehmerorganisationen“ wollen das nicht.

Geahnt haben das einige Kollegen wohl schon. Insbesondere am Campus in Steglitz war es bereits sehr früh am Freitagmorgen zu heftigen Diskussionen gekommen, viele Gerüchte kreisten. In den Reihen der Beschäftigten wurde immer wieder klar formuliert: Egal welches Angebot kommt, es gibt keine Aussetzung des Streiks, ohne dass bei der Tochtergesellschaft Charité Facility Management ein Tarifvertrag abgeschlossen wird. Genau das ist aber nun eingetreten. Die Muttergesellschaft Charité lehnt jedes Zugeständnis ab, die 2.500 Kollegen der CFM streiken weiter – nun aber allein.

Um 10 Uhr am Freitag wurden zeitgleich an den drei Campi von den Funktionären der Gewerkschaften die so genannten Vollversammlungen einberufen. Bekannt gegeben wurde ein Zahlensalat zum neuen Angebot der Charité. Und da damit an allen drei Standorten keine Stimmung zur Unterbrechung des Streikes erreicht werden konnte, wurde begonnen, ein Drohszenario aufzubauen. Die Argumentation war in den drei Versammlungen fast deckungsgleich: Wenn bis 12 Uhr der Streik nicht beendet wird, schließt der Vorstand das Steglitzer Klinikum. Wenn der Streik beendet wird, beginnt in den Medien eine Hetzkampagne gegen die Streikenden. Wenn der Streik nicht beendet wird, wird sich die Stimmung in der Berliner Bevölkerung gegen uns wenden. Und wenn wir jetzt nicht ganz schnell zuschlagen bei dem neuen Angebot, zieht das Unternehmen die Offerte zurück und wir haben alles verloren.

All diese Drohungen sind lächerlich. Es gab massiv Gegenreden in der Belegschaft – auch von Gewerkschaftern, ob Verdi oder gkl. Aber die Kollegen, die sich von den Funktionären nicht in Angst versetzen lassen wollten, blieben offensichtlich in der Minderheit. Dass in Steglitz die Kollegen zugunsten der Weiterführung des Streiks stimmten, wurde im Campus Mitte von Verdi nicht einmal bekannt gegeben, auch im Virchow hörte man nur Gerüchteweise davon. Die Kollegen wurden einfach nicht informiert! Wieder einmal.

Egal welche Position jemand in der Belegschaft an diesem Freitag vertreten hat – ob nun für die Fortsetzung des Streiks bis zu einem Tarifvertrag für die CFM und die Erfüllung des ursprünglichen Forderungskataloges an der Charité oder für die Unterbrechung –, es gab einen ungeheuren Druck. Die Kollegen waren empört und hilflos, emotional enorm angespannt. Tränen flossen nicht nur vereinzelt. Und zwar nicht nur beim Betriebsgruppenvorsitzenden von Verdi, der nicht ohne Grund von Beschäftigten aus Charité und von der CFM schwer beschimpft wurde. Sein großes Wort auf der Demonstration vom Dienstag, dass man die Kollegen der CFM nicht allein lassen werde, hatte nur ein sehr kurzes Haltbarkeitsdatum.Bei der CFM ruht die Arbeit erst einmal weiter, am Montag gibt es dort wohl eine Versammlung der Kollegen – aber wie denen jetzt zu Mute ist, das kann man sich sehr gut denken.

Was soll man eigentlich von der Argumentation der Gewerkschaften halten? Je länger und wirkungsvoller ein Streik ist, desto schlechter werden die Angebote der Gegenseite? Ist das wirklich die Erfahrung, die Verdi mit Arbeitskämpfen gemacht hat? Sicher, die Medien sind mächtig, aber bestimmen sie wirklich schon darüber, welcher Arbeitskampf geführt wird. Und das durch bloße Anwesenheit? Wirklich negative Berichterstattung ist mir in dieser Woche nicht aufgefallen und eine massive Wut auf die Streikenden spürten wir bei keiner Demo, bei keinem Gespräch mit Angehörigen, Patienten oder auf der Straße!

Und: Die angedrohte Schließung des Standortes Steglitz ist eine Sau, die immer wieder durch das Dorf Berlin getrieben wird. Das Klinikum steht noch immer da. Und so wird es wohl auch eine Weile bleiben. Wer wollte die Steglitzer Betten schließen, ohne die Patienten in einem anderen Krankenhaus versorgen zu können? Noch gibt es bestimmte Regelungen, die Gesetzeskraft haben und für bestimmte Einzugsbereiche bestimmte Bettenkontingente in den verschiedenen Fachbereichen vorsehen. Der Vorstand der Charité schließt ein Universitätsklinikum und der rot-rote Senat als Betreiber schaut zu? Und das vor der Wahl im September? CDU-Bildungsministerin Schavan faselt etwas von Bundesuniversität Charité, aber das Uniklinikum Benjamin Franklin wird geschlossen? Glaubt das wirklich jemand? Abgesehen davon: Die Kollegen haben oft Verträge mit der Charité – und nicht mit ihrem Standort. Und dann die Erpressung, dass das Unternehmen bis 12 Uhr am Mittag ein Ergebnis haben will, sonst mache sie Steglitz dicht. Wie darf man sich das vorstellen? Vorstandschef Karl Max Einhäupl lässt sich vor Ort chauffieren und schließt die Türen ab mit samt den Patienten im Gebäude, die von den Kollegen dort in Verantwortung vor dem Leben und der Gesundheit auch während des Streiks versorgt wurden? Hm, lustige Vorstellungen.

Deutlich ist zu erkennen: Die Gewerkschaftsfunktionäre von Verdi wollten diesen Streik beenden. Mit allen Mitteln. Sonst hätten sie das Ansinnen der Charité lächelnd zurückgewiesen und nicht diese Atmosphäre der Angst unter den Kollegen erzeugt. Aber warum? Man kann spekulieren: Klar, die Wahlen in Berlin stehen vor der Tür und Rot-Rot dürfte zu den Wunschkoalitionen der Gewerkschaft und vieler einzelner Funktionäre der verschiedenen Ebenen gehören.

Vielleicht geht die Kungelei aber sogar noch weiter. Hat man hier im Gleichschritt mit dem Vorstand dem massiven Unmut auf den Stationen der Charité einfach nur ein Ventil gegeben von Verdi geöffnet – und dann auch wieder rechtzeitig geschlossen? Kamen daher vielleicht die Gerüchte, dass der Streik höchstens eine Woche dauern wird und ab Mittwoch ein Angebot vorliegt. Nur: Dann kam die Urabstimmung bei der CFM dazwischen. Sie war sehr kurzfristig angesetzt worden und eventuell gar nicht auf dem Plan der Funktionäre und der Unternehmensleitung. Sicher, all das ist nur Spekulation. Aber nach diesem Freitag, nach dem Streikabbruch gegen den Willen vieler Kollegen, nach dem Alleinlassen der CFM-Beschäftigten muss darüber geredet werden.

Nach Angaben der Gewerkschaft müsse das Angebot „in vielen Punkten“ noch nachverhandelt werden, um einen Tarifabschluss zu erreichen. Strittig seien sowohl Höhe des Zuschlags als auch Schritte zur Anpassung. Die Gewerkschaften forderten bisher eine Anhebung der Gehälter um 300 Euro – eine Krankenschwester verdient derzeit rund 2.400 Euro brutto. Es gibt jetzt einen Zeitplan für die Verhandlungen, die am Montagmorgen beginnen sollen, bis auf Donnerstag seien alle Tage für Verhandlungen vorgesehen.

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