Bereut wird später

Die Legalisierung ausländischer Billigpflegekräfte ist falsch. Die Alten von morgen werden das spüren

Bei der Legalisierung von ausländischen Pflegekräften droht eine Entwicklung wie bei den 400-Euro-Jobs: Der Staat etabliert einen weiteren Niedriglohnbereich. Fachkräfte aus dem Ausland werden lieber in andere Länder gehen.

Bereut_wird_später

Wie wollen Sie Ihre letzten Tage, Wochen, Monate verbringen? Im Kreise Ihrer Lieben, in den eigenen vier Wänden, möglichst liebevoll betreut? Vergessen Sie es, wenn Sie zu den geburtenstarken Jahrgängen oder den noch Jüngeren gehören! Selbst wenn Sie persönlich Glück haben sollten – die Zahlen sprechen dagegen, dass es der Mehrheit der Babyboomer einmal so gehen wird. Nicht nur die Geburten- und Altersstatistik lehrt anderes, sondern auch jene des Amtes für Statistik in Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2010, wonach heute schon 40 Prozent der Toten im Land anonym bestattet werden. Fast jeder zweite Berliner, der im vergangenen Jahr starb, hatte keine Angehörigen, die ein Grab mit Namen bezahlen wollten oder konnten.

Es ist zwar gewagt, von Toten auf Pflegebedürftige hochzurechnen und das arme Berlin mit dem Rest des Landes gleichzusetzen. Allerdings eignet sich die Zahl der Begräbnisse gut als Warnung vor der Pflegewelt von morgen, weil sie aus der Gegenwart und damit aus demografisch goldenen Zeiten stammt. Im Moment sind die Vertreter der geburtenstarken Jahrgänge überwiegend berufstätig, sie zahlen in die Sozialsysteme ein, können sich um Eltern oder Großeltern kümmern. Für eine anständige Beerdigung müsste es in den meisten Familien reichen. Wenn das schon heute nicht so ist, lässt das nichts Gutes ahnen für die künftige Bereitschaft, pflegebedürftigen Alten mit Geld und Zeit beiseite zu stehen.

In Zukunft werden die Rahmenbedingungen viel schlechter sein. Es wird nicht nur mehr Alte und weniger Junge geben, die wenigen Jungen werden viel häufiger als heute überfordert sein: Es wird mehr Einzelkinder unter ihnen geben, die sich häufiger um getrennt lebende Eltern kümmern sollen, womöglich auch noch um deren Lebenspartner. Die Jungen werden länger arbeiten müssen, es wird weniger quirlige 63-Jährige geben, die Zeit und Kraft für die 90-jährige Mutter haben. Töchter werden häufiger berufstätig sein als heute und in vielen Fällen selbst noch Kinder im Haus haben, wenn die Eltern Hilfe brauchen. Söhne werden die Altenpflege noch seltener aus dem Zivildienst kennen.

Die Voraussetzungen für eine gute Pflege der Alten von morgen sind nicht gut. Und sie werden noch viel schlechter sein, wenn die CDU sich mit ihrer gerade vorgetragenen Idee für ausländische Pflegekräfte durchsetzt. Damit würde nämlich schlechte Pflege für die Zukunft etabliert, statt die Arbeit der Pflegenden aufzuwerten und Deutschland als Arbeitsmarkt für hochkarätige Pflegewillige aus anderen Ländern zu etablieren. Alle Babyboomer, die jetzt Beifall klatschen, könnten das bereuen, wenn sie später statt der liebevollen Tochter ein schlecht deutsch sprechender Geringverdiener von der linken auf die rechte Seite dreht.

Für 800 bis 1000 Euro pro Monat plus Unterkunft sollen ausländische Hilfskräfte in Privathaushalten unterkommen. Die Sozialabgaben würde die Pflegekasse übernehmen. Geht man, was optimistisch ist, von einer 40-Stunden-Woche aus, entspräche das in etwa dem heutigen Stundensatz von Pflegehilfskräften.

Das klingt nach einem fairen Angebot. Wenn es Familien gibt, die solche Jobs legal anbieten wollen, und ausländische Hilfskräfte, die entsprechende Stellen antreten möchten – wäre die Öffnung des Pflege-Arbeitsmarkts nicht auf jeden Fall besser als die aktuelle Situation? Die Sozialverbände schätzen, dass in Deutschland zwischen 100 000 und 150 000 illegale Pflegekräfte beschäftigt sind.

Nicht jede Verbesserung einer unerträglichen Situa tion ist gleich ein zukunftstaugliches Konzept – deshalb führt die CDU-Idee in die Irre. Schafft der Staat heute den rechtlichen Rahmen für eine Billigpflege, wird sie in der gealterten Gesellschaft eher die Regel als die Ausnahme sein. Ein illegaler Niedriglohnbereich würde durch einen wachsenden legalen Niedriglohnsektor ersetzt. Eine ver nünftige Lösung ist das nicht. Dafür ist die Vorstellung zu bedrückend, dass viele Menschen unter unwürdigen Bedingungen leben müssten.

Als Warnung davor, was geschehen dürfte, eignet sich die Einführung der 400-Euro-Jobs. Sie wurde einst damit begründet, dass man Schwarzarbeit eindämmen könne, gerade im Privathaushalt. Das traf sogar zu und gilt bis heute. Doch geplant waren die Minijobs als Ausnahme von der Regel. Heute kommen in Deutschland auf 27,8 Millionen reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze rund 7,2 Millionen Minijobs. Aus der Nischenlösung ist ein Massenphänomen geworden. Jede fünfte Stelle ist ein Arbeitsplatz, von dem allein niemand leben kann und der, wenn er keine Übergangslösung oder durch andere Einkünfte ausgeglichen wird, in die Altersarmut führt. Kein Sozialpolitiker bestreitet das, an eine Reform traut sich trotzdem kaum jemand heran.

Eine ähnliche Entwicklung droht bei der Betreuung alter Menschen, wenn der Staat die Billigpflege zum Standard macht. Nötig wäre das Gegenteil: mehr Anerkennung, Bildung und vor allem Geld für Pflegekräfte aus der von Staat und Beitragszahlern finanzierten Pflegekasse. Das klingt in Zeiten der Schuldenbremse zwar nicht nach einer realistischen Idee. Doch warum ist es so abwegig, dass eine Regierung, die im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro als Nachschlag für Mediziner einplante, auch für die Knochenjobs in der Altenpflege Geld übrig hat?

Die Alten von morgen sollten sich aus Eigeninteresse dazu durchringen. Experten schätzen, dass schon in zehn Jahren 200 000 Pflegekräfte mehr als heute nötig sind. In vielen Nachbarländern bekommen Altenpfleger schon heute ein höheres Gehalt. In Osteuropa werden viele Frauen, die bisher illegal in Deutschland pflegen, demnächst von der schnell steigenden Zahl einheimischer Alter gebraucht. Wer Pflegende nicht gut behandelt, darf sich nicht beschweren, wenn ihn einst Menschen waschen, füttern und wenden, die in anderen Ländern und Branchen niemand will.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.